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Der erschoepfte Mensch

Der erschoepfte Mensch

Titel: Der erschoepfte Mensch
Autoren: Rotraud A. Perner
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Hinblick auf den Körper und die Seele, die selbstverständlich auch in meinem Ausbildungsangebot breiten Raum einnahmen, wäre der intellektuelle Bereich des Verstehens wie auch Wissens über Quellen und Methoden in ihren vorher absolvierten Ausbildungsschritten vernachlässigt worden.
    Der erschöpfte Mensch »denkt« primär an die Reparatur seines Körpers – also an die Wiederherstellung der Funktionstüchtigkeit seiner materiellen Hülle – und erwartet, dass er dann wieder zu Kräften – zu Energie – kommen wird. Er denkt selten an das Loch in der Seele, aus dem ihm Energie verloren geht, und er weiß nicht, wie er das Loch füllen könnte – außer er hat es bereits einmal erlebt und bewusst wahrgenommen. Denn wer bereits eine Verschaltung von Nervenzellen im Gehirn gebildet hat, benötigt nur mehr die Information, dass er oder sie diese bloß neuerlich aktivieren müsste – beispielsweise durch gezieltes Erinnern.
    Um wieder ein Gespür für sich selbst zu bekommen, bedarf es eben nicht nur der Aufmerksamkeit für den Körper. Die seelischen Gefühlslagen und geistigen Bilder sind gleich wichtig, denn erst alle drei zusammen bilden die Körper-Seele-Geist-Einheit.
    Nur: Den Körper sieht man, und man vergleicht ihn mit anderen Körpern, setzt ihn in Schönheits- und Muskelprotzkonkurrenzen bewertenden (und begehrlichen) Blicken aus, lässt ihn entfetten, straffen, begradigen oder aufpolstern und vergisst, dass sich Seele und Geist im Originalzustand »verkörpern«, daher jede Korrektur vor allem aussagt, dass man sich selbst in seiner Einzigartigkeit nicht mag, sondern lieber ein Einheitsgesicht mit Einheitslippen und Einheitshaarfarbe auf einem Einheitskörper besitzen und damit auch den anscheinend kummerfreien Plastikeinheitsgeist, den nichts aus der Ruhe bringen kann, widerspiegeln möchte.
    Um wieder ein Gespür für sich selbst
zu bekommen, bedarf es nicht nur der
Aufmerksamkeit für den Körper.
    Dahinter lauert die Angst vor dem Alter, dem Verlust der sexuellen, derzeit aber mehr noch der beruflichen Attraktivität und letztlich vor dem Verschwinden, Vergessenwerden, dem sozialen oder aber auch historischen Tod. »Von einem chinesischen Dichter kommt uns die Warnung zu, die Vorstellung des Jungbrunnens sei eitel Lug und Trug«, erinnert Lin Yutang,»denn kein Mensch könne ›die Sonne an einer Schnur festbinden‹ und ihren Lauf anhalten«, und er schlägt vor:»Das Bemühen der reiferen Frau, ihren Sex-Appeal zu bewahren, ist also nichts weiter als ein erbittertes und dabei ganz sinnloses Wettrennen mit der Zeit. Nur Humor kann hier den richtigen Ausweg finden. Da der Kampf gegen das Alter und die weißen Haare ja doch aussichtlos ist, warum nicht lieber sagen, weißes Haar sei schön?« 233
    Auf der Suche nach dem Heil-Sein bietet sich für jedes Mangelgefühl ein kommerzielles Angebot an: Stärke kann man im Fitness-Studio sogar mit Hilfe von Maschinen antrainieren, zum Abbau von muskulären Verhärtungen und Hyperaktivität findet man einen Angebotsbogen von Entspannungstraining bis fernöstliche Meditation oder Massage, Gefühle kann man in Psycho-Gruppen aller Art heraus(-locken) lassen, für fehlende Phantasien gibt es Rückführungen und Traumreisen … Nur der Geist oder besser: Ungeist bleibt unangetastet. Der Kunde ist ja König und darf nicht kritisiert werden. Außerdem würden er oder sie dann womöglich wegbleiben.
LEERE
    Im Sinne des allgegenwärtigen dualen Denkens werden Mangel und Leere mit dem Gegenteil Konsum und Abfüllung kompensiert. Je mehr desto besser. Solange noch was »rein geht«, fühlt man sich flexibel und daher lebendig. Wenn »nichts mehr geht«, droht Erstarrung und die wird gleichgesetzt mit Tod.
    Die Angst vor der Leere, dem Nichts und dem Tod überwindet man jedoch nicht mittels Aktivität, sondern indem man lernt, sie auszuhalten. In allen östlichen Meditationsformen lautet ein erstes Ziel, den papanca – den plappernden Affengeist – zum Schweigen zu bringen. Diese Gedankenstille bedarf ruhiger Konzentration, die zu einer Entleerung von Gedanken und damit auch von Hoffnungen und Sorgen führt und dadurch tiefe Entspannung bewirkt.
    In unseren Breitengraden müssen manche zum Karpfenfischen ausrücken, um sich mithilfe der Stille des Wassers das Nichtdenken gönnen zu dürfen. Der heimgebrachte Fisch dient dann nur mehr der Rechtfertigung gegenüber vereinnahmenden Familienangehörigen.
    Der Unterschied zwischen dem Loch in der Seele und der Weitung
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