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Der Elefanten-Tempel

Der Elefanten-Tempel

Titel: Der Elefanten-Tempel
Autoren: Ueberreuter
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düstere Stimmung. »Das machen sie?«
    »O ja. Elefanten sind keine Engel. Und ihre Mahouts auch nicht.« Nuan legte den Arm um sie und Ricarda schmiegte sich an ihn. Es war herrlich, die Wärme seines Körpers zu spüren. Und zu wissen, dass er sie mit allen ihren Fehlern und Schwächen mochte.
    Ricarda fühlte seine Hand auf ihrer Wange, und ihr Herz begann zu rasen, weil sie wusste, dass es jetzt keine Grenzen mehr zwischen ihnen gab, keine Scheu. Ohne Zögern lehnten sie sich aufeinander zu – und ihre Lippen berührten sich, fanden sich. Sie hatten sich noch so viel zu erzählen in dieser neuen, gemeinsamen Sprache, die sie nach Devis Tod entdeckt hatten. Auf Ricardas Armen breitete sich eine Gänsehaut aus. Passierte das wirklich? Hier? Jetzt?
    Es war nicht der erste Kuss, den Ricarda in ihrem Leben bekommen hatte, aber es kam ihr wie der erste vor, der wirklich zählte.
    »Nuan«, flüsterte sie, als ihre Lippen sich wieder voneinander gelöst hatten. »Wie heißt du eigentlich wirklich?«
    Er lachte leise und sagte ein paar Wörter, die sofort im Strom ihrer Erinnerungen untergingen.
    »Oh. Ich glaube, das schreibst du mir besser mal auf.«
    »Mach ich. Und du?«
    Ricarda Katharina Marie Wittenberg . Sie sagte es langsam und ernst, doch sie wusste, dass auch er es sich nicht auf Anhieb merken würde. Es war ein Name, der dieser Welt fremd war. Auf einmal überfielen Ricarda Gedanken an die Abreise. Seine und ihre.Bald würde er verschwunden sein, ohne Adresse, ohne Telefonnummer, ohne Spur. Und es gab keinen Weg, es zu verhindern. Sie würde in ihr altes Leben zurückkehren und er sich verlieren in diesem weiten Reich, dessen Name Land der Freien bedeutete.
    Einen Moment lang starrte Nuan in die Dunkelheit. »Warum muss ich dich wieder verlieren? Ich werde Chao Thi, dem Erdgeist, opfern und ihn bitten, dich zurückzubringen.«
    »Um mich zurückzubringen, genügt ein Flugticket«, flüsterte Ricarda ihm ins Ohr. »Und du kannst darauf wetten, dass ich mir bald wieder eins besorge.«
    Jetzt, kurz nach Sonnenuntergang, war der Fluss in tiefe Schatten getaucht. Immer lauter summten die Moskitos um ihre Ohren, irgendetwas platschte im Fluss, und noch einmal überzog eine Gänsehaut Ricardas Arme – diesmal allein der Kälte wegen.
    Die Magie des Augenblicks war verflogen. Ricarda spürte, dass die düsteren Gedanken Nuan bedrängten, ihn wieder hinabzogen. Das kurze Lachen vorhin, der Kuss, ihr Versprechen, all das konnte ihn nicht heilen. Devi war tot und nichts würde daran etwas ändern.
    Besser, sie gingen zurück. Ricarda stand auf und Nuan half ihr das Handtuch auszuschütteln. Wahrscheinlich war es matschig und mit jeder Menge Pflanzenresten dekoriert. Egal.
    Im Licht von Sofias Taschenlampe, die mit neuen Batterien hell strahlte wie eh und je, machten sie sich auf den Weg.

Im Namen eines Gottes
    Ricarda ahnte, dass Nuan das Alleinsein brauchte. Als er am nächsten Morgen nicht zum Frühstücken auftauchte, versuchte sie nicht ihn zu finden. Auch wenn es ihr schwerfiel, weil sie sich Sorgen um ihn machte. Und weil sie sich so stark nach ihm sehnte, dass es fast wehtat.
    Als Chanida zur Schule gefahren war, machten Ricarda und Sofia einen Abstecher zu Khanom und Laona. Doch an dem Baum, unter dem Khanom angekettet gewesen war, lagen nur ein paar Ketten im niedergetrampelten Gras. Der große Bulle war weg.
    Ein unangenehmes Kribbeln überlief Ricarda. »Vielleicht hat er es wieder geschafft, abzuhauen. Wahrscheinlich lauert er hinter dem nächsten Gebüsch.«
    Sofia blickte sich um; sie sah aus, als wäre auch ihr nicht ganz wohl bei dem Gedanken an Khanom. »Besser, wir gehen gleich zum Haupthaus. Da können wir vom Balkon Ausschau halten.«
    »Da«, krächzte Ricarda. Gemächlich bewegte sich der riesige Bulle hinter ein paar Bäumen entlang, der einzelne Stoßzahn war unverkennbar.
    Sofia hielt die Hand über die Augen, um besser sehen zu können. »He, Moment mal – jemand sitzt auf ihm. Kaeo reitet ihn wieder!«
    Vorsichtig gingen sie weiter in RichtungHaupthaus. Und dann standen sie Khanom von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Sein zerfurchter grauer Körper sah gewaltig aus, bei einem flüchtigen Blick hätte man ihn mit einem Dinosaurier verwechseln können. Kaeo, der hinter seinen Ohren hockte, rief einen fröhlichen Gruß. » Musth vorbei! Jetzt ist Khanom wieder nett wie Lämmchen.«
    »Haha, ziemlich großes Lämmchen«, murmelte Sofia skeptisch, doch Ricarda spürte sofort, wie Khanom sich
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