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Der Elefant verschwindet

Titel: Der Elefant verschwindet
Autoren: Haruki Murakami
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Kleidern (beide keine ausgesprochenen Schönheiten) fütterten dem Elefanten jede ein Büschel Bananen. Der Elefant ließ diese ziemlich unsinnige – für einen Elefanten zumindest völlig unsinnige – Zeremonie beinah reglos über sich ergehen und mampfte die Bananen mit einem fast schon bewusstlosen, abwesenden Blick. Als er mit den Bananen fertig war, klatschten alle.
    Am rechten Hinterbein trug der Elefant einen massiven, ziemlich schwer wirkenden Eisenring. Am Ring war eine ungefähr zehn Meter lange, dicke Kette befestigt, deren Ende in einem Betonsockel fest verankert war. Eisenring und Kette wirkten so stark, dass sie der Elefant auch in hundert Jahren und unter Aufwendung all seiner Kräfte nicht hätte kaputt kriegen können.
    Mir war nicht klar, ob die Fessel den Elefanten überhaupt störte. Dem Anschein nach zumindest schenkte er diesem Eisenklotz an seinem Bein keinerlei Aufmerksamkeit. Er starrte die ganze Zeit mit abwesendem Blick auf irgendeinen Punkt im Raum. Wenn Wind aufkam, bewegten sich seine Ohren leicht und die weißen Haare auf seinem Körper zitterten.
    Der Pfleger war ein schmaler, kleiner alter Mann. Sein Alter war schwer zu schätzen. Er hätte Anfang sechzig, vielleicht aber auch Ende siebzig sein können. Er war einer dieser Menschen, deren Aussehen, nachdem sie einen bestimmten Punkt im Leben überschritten haben, nicht mehr von ihrem Alter abhing. Seine Haut war sommers wie winters dunkelrot gebrannt, seine Haare waren fest und kurz und seine Augen klein. Sein Gesicht hatte keine besonderen Merkmale, nur die fast kreisrunden Ohren, die an beiden Seiten des Kopfes abstanden, fielen neben dem eher schmalen Gesicht besonders auf.
    Er war keineswegs unfreundlich und antwortete stets akkurat und genau, wenn ihn jemand ansprach. Wenn er wollte, konnte er sogar liebenswürdig sein – auch wenn dies etwas steif wirkte. Im Prinzip aber war er ein schweigsamer und einsamer alter Mann. Kinder schien er zu mögen, und wenn welche kamen, begegnete er ihnen immer sehr freundlich, aber sie fassten kein rechtes Vertrauen zu ihm.
    Nur der Elefant war zutraulich. Der Pfleger wohnte in einem kleinen, direkt ans Elefantenhaus gebauten Fertigbauhäuschen und kümmerte sich von morgens bis abends unablässig um den Elefanten. Der Elefant und der Pfleger kannten sich schon seit über zehn Jahren, und in jeder Bewegung und in jedem Blick spürte man, wie vertraut sie miteinander waren. Wenn der Pfleger den abwesend auf einem Fleck dastehenden Elefanten irgendwohin bewegen wollte, brauchte er sich nur neben den Elefanten zu stellen, leise an dessen Vorderbein zu klopfen und ihm irgendetwas zuzuflüstern. Dann setzte der Elefant seinen Körper langsam und mit großen Mühen schwankend in Bewegung, ging genau bis zu dem ihm angewiesenen Platz, nahm seine neue Position ein und starrte wie vorher an einen Punkt im Raum.
    An den Wochenenden ging ich zum Elefantenhaus und beobachtete diese Vorgänge mit großem Interesse, doch ich bekam nicht heraus, auf welchen Prinzipien die Kommunikation zwischen den beiden beruhte. Vielleicht verstand der Elefant ein paar einfache Wörter (immerhin lebte er schon sehr lange), oder er entnahm die Informationen der Art und Weise, wie ihm der Pfleger an das Bein klopfte. Vielleicht besaß dieser Elefant auch spezielle Fähigkeiten, so etwas wie Telepathie, und konnte die Gedanken des Pflegers lesen.
    Einmal fragte ich den alten Pfleger: »Auf welche Weise geben Sie dem Elefanten Anweisungen?« Doch der Alte lächelte nur und antwortete: »Wir leben schon lange zusammen.« Mehr sagte er nicht.
    So verging ein Jahr. Und auf einmal war der Elefant verschwunden.
    Während ich eine zweite Tasse Kaffee trank, las ich den Zeitungsartikel noch einmal Wort für Wort durch. Es war ein seltsamer Artikel. Die Sorte Artikel, bei der Sherlock Holmes seine Pfeife ausklopfen und sagen würde: »Sieh dir das an, Watson. Ein sehr interessanter Artikel. Wirklich sehr interessant.«
    Die entscheidenden Faktoren, die diesen Artikel so seltsam erscheinen ließen, waren die Ratlosigkeit und das Chaos, die im Kopf des Reporters geherrscht haben mussten. Beides, Ratlosigkeit und Chaos, beruhten offenbar auf den Ungereimtheiten der Situation. Der Reporter hatte diese Ungereimtheiten geschickt zu umgehen versucht, um mit Müh und Not einen »ordentlichen« Zeitungsartikel zustande zu bringen, aber das hatte das Chaos und die Ratlosigkeit nur noch fataler zugespitzt.
    So benutzte er beispielsweise den
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