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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat
Autoren: China Miéville
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endlich ihren Weg fort, landeinwärts, weg von dem gestrandeten Schiff, weg von dem mörderischen Wasser.
     

     
    Nachts saßen sie erschöpft im Schutz einer Baumgruppe neben den Antilopen. Ihre Blicke ruhten auf Elsie. Die Mondin und ihre zwei Töchter, Satelliten, die sie umkreisten wie hingeworfene Münzen, standen hoch am Himmel. Elsie, im Schneidersitz, schaute zu ihnen empor; Cutter wunderte sich über ihre Ruhe. Ihre Lippen bewegten sich. Sie hatte ein Hemd um den Hals geschlungen. Ihre Augen waren glasig.
    Cutter schaute an ihr vorbei durch das hohe Gras auf die Steppe hinaus. Im geisterhaften Mondlicht standen Tambotie und Eisendorn schattenhaft da wie Meuchelmörder, daneben vierschrötige Baobabs mit ihren vielfach verzweigten Kronen.
    Als Elsie aus ihrer Trance erwachte, machte sie ein entschuldigendes Gesicht. Sie nahm das Hemd vom Hals.
    »Ich weiß nicht«, meinte sie. »Kein klares Bild. Ich glaube, irgendwo da hinüber.« Sie schwenkte die Hand in Richtung eines fernen Höhenzugs. Cutter schwieg. Das war ohnehin ihr Weg. Er war froh gewesen, dass Elsie sich ihnen angeschlossen hatte, doch er wusste, dass sie keine ausgeprägten magischen Kräfte besaß. Er konnte nicht beurteilen, ob sie echte Emanationen wahrnahm, und sie ebenso wenig.
    »Dahin wollten wir so oder so«, sagte Cutter. Es war freundlich gemeint – nichts ist verloren, selbst wenn du dich geirrt hast –, aber Elsie wich seinem Blick aus.
     

     
    Tag um Tag ritten sie durch eine Landschaft, welche sie mit Hitze quälte und mit Pflanzen wie Stacheldraht. Das Einvernehmen mit ihren kräftigen Reittieren ließ zu wünschen übrig, dennoch kamen sie schneller voran, als es zu Fuß je möglich gewesen wäre. Die Mündungen ihrer Waffen zeigten kraftlos nach unten. Zwei Antilopen trugen zwischen sich ein Fass voll Wasser aus dem See, worin Fejh ein trostloses Dasein fristete. Das Wasser war faul, es machte ihn krank.
    Kichern und Keckern über ihren Köpfen versetzte sie in Panik. Eine Horde abscheulicher Kreaturen stieß grinsend vom Himmel auf sie herab – Cutter erkannte sie von Bildern, die er gesehen hatte: die Glucliche, Hyänen unter weit gespannten Fledermausflügeln.
    Pomeroy erschoss eine von ihnen, und ihre Brüder und Schwestern machten sich augenblicklich daran, sie noch in der Luft in Stücke zu reißen und zu verspeisen. Der kannibalische Schwarm ballte sich um die Atzung, und die Gefährten konnten sich davonmachen.
    »Wo steckt dein verdammter Flüsterer, Cutter?«
    »Sachte, Pomeroy. Sobald ich es herausfinde, erfährst du’s als Erster.«
    »Zwei Leben. Zwei von uns sind schon draufgegangen, Cutter. Ist das richtig, was wir tun?«
    Cutter antwortete nicht.
    »Woher weiß er, welchen Weg er nehmen muss?«, fragte Elsie. Sie meinte den Mann, dem sie folgten.
    »Er hat immer gewusst, wo der Eiserne Rat zu finden ist, wenigstens ungefähr«, erklärte Cutter. »Deutete an, er bekäme Nachrichten von dort. Er sagte, er hätte von einem Zuträger in der Stadt gehört, dass die oben im Parlament nach dem Rat suchen. Da wusste er, es war an der Zeit. Er musste denen zuvorkommen.« Cutter hatte die Notiz nicht mitgebracht. Oh, wie verletzt er gewesen war von den wenigen, dürren Zeilen. »Einmal hat er mir auf einer Landkarte gezeigt, wo der Rat nach seiner Vermutung zu finden ist. Ich habe es euch erzählt. Und dahin sind wir unterwegs.« Als wäre es so einfach.
    Die Abenddämmerung überfiel sie am Fuß einer steilen Anhöhe. Sie entdeckten einen schmalen Wasserlauf und nutzten überglücklich die Gelegenheit, sich satt zu trinken. Fejh suhlte sich wonnevoll. Seine menschlichen Gefährten ließen ihn im Wasser schlafen und kletterten den Hang hinauf. Von dem zerklüfteten Kamm schweifte der Blick über eine weite Ebene, darauf in Abständen Lichter entlang ihrer voraussichtlichen Route. Drei helle Inseln: die hinterste ein kaum wahrnehmbares Zwinkern, die nächste vielleicht zwei Wegstunden entfernt.
    »Elsie, Elsie«, sagte Cutter. »Du warst gut, du hast etwas gespürt.«
    Pomeroy war zu massig für den steilen Weg zu Tal, und Elsie hatte nicht die Kraft. Einzig Cutter fühlte sich im Stande, den Abstieg zu wagen. Die anderen beschworen ihn zu warten, am nächsten Tag würde man gemeinsam einen Weg nach unten finden. Doch obgleich er wusste, es war gefährlicher Leichtsinn, nachts einen Ausflug auf unbekanntes Terrain zu unternehmen, konnte er der Versuchung nicht widerstehen.
    »Kehrt um«, sagte er. »Kümmert euch
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