Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der einzige Sieg

Der einzige Sieg

Titel: Der einzige Sieg
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
Detail ins Gedächtnis eingebrannt. Offene Augen, die geschrumpft und gebrochen waren, weil das Augensekret zu Eis gefroren war. Und anschließend der gesamte, mit Wasser gefüllte Glaskörper; dies bewirkte, daß die Augäpfel anschwollen und ein wenig aus den schützenden Höhlen drangen. Erstarrte Barte und Haare, die verzerrten Körperhaltungen, der zischende Laut von Fett und Wasser in dem brüllenden Feuer, der schwarze, fette Rauch und dann natürlich der Geruch. Alles war da. Er war für immer an diese Erinnerungsbilder gekettet, und er würde nichts davon je verdrängen oder vergessen können.
    Er hatte die Befehle dazu erteilt, jeden einzelnen Befehl. Und die Männer, die diese Befehle befolgt hatten, waren anständige schwedische Offiziere, junge Männer, die man in feierlichen Reden den Stolz der Streitkräfte zu nennen pflegte, die allerbesten. Sie hatten seinen Befehlen ohne zu zögern gehorcht, und wenn sie eine Rechtfertigung suchten, würde sie die altbekannte sein: Wir haben nur Befehle befolgt.
    Doch dann würden sie sagen, daß es sich nicht um irgendwelche Befehle gehandelt habe. Wir sind keine Nazis, wir sind anständige schwedische Fallschirmjäger, und jeder Vergleich zwischen uns und diesen Leuten mit den schwarzen Uniformen und den Totenschädeln an den Mützen ist eine Beleidigung von uns und Schweden als Nation und der schwedischen Demokratie und blablabla.
    Doch was konnte er selbst sagen? Was konnte er sich in der Einsamkeit selbst sagen, wenn niemand zuhörte, und was würde er einem Gericht sagen können?
    Schon die Tatsache, daß er automatisch diese Unterscheidung machte, war entlarvend.
    Nun, was konnte er also zu sich selbst sagen, um damit zu beginnen? »Da oben denkt man nicht. Wenn man denkt, stirbt man. Ich meine folgendes: Das war eine Operation, wir folgten sehr deutlichen und klaren Befehlen, die völlig unmißverständlich waren. Um ein solches Unternehmen durchzuführen, muß man sich vollkommen kalt verhalten. Alles andere wäre menschlich unmöglich. Denken kann man hinterher, aber im Augenblick des Handelns ist es unmöglich.«
    Das stimmte. So war es gewesen. Doch was würde er vor Gericht sagen? Aber er würde nie vor ein Gericht gestellt werden, das war das eine. Die Sieger werden nie vor Gericht gestellt, weder in Nürnberg noch sonstwo.
    Einmal hatte er wegen eines Verbrechens vor Gericht gestanden, das im Vergleich mit diesem eher als Bagatelle gelten konnte, das damals aber eine Katastrophe gewesen war und nach allen normalen menschlichen Maßstäben auch so gesehen werden mußte. Er hatte außerhalb des Dienstes einen Menschen getötet, zwar aus Versehen, aber immerhin.
    Er hatte einen Verteidiger gehabt. Das Verfahren war geheim gewesen und hatte unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattgefunden. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, was der Anwalt gesagt hatte. Was es auch gewesen war, es hatte genügt, um einen Freispruch zu erreichen. Vielleicht war das Verfahren ein Bluff gewesen, ein von dem Alten oder einem anderen inszeniertes Theater, aber damals hatte er es tödlich ernst genommen.
    Nun, aber jetzt? Was würde der Anwalt jetzt sagen?
    »Mein Mandant hat auf Befehl gehandelt. Das befreit jedoch keinen Schweden davon, eine eigene Beurteilung vorzunehmen. Bei keiner Streitmacht des Westens kann die Tatsache, daß ein Befehl vorliegt, einen Soldaten von der eigenen Verantwortung befreien, da seit Nürnberg jeder verpflichtet ist, die Befehle, die er erhält, in eigener Verantwortung zu prüfen. Ein schwedischer Offizier kann ebenso wie ein amerikanischer, ein englischer oder ein französischer einen Befehl verweigern, wenn er überzeugt ist, daß dieser im Widerspruch zu den Gesetzen des Landes steht. Danach muß er vor einem Militärgericht nachweisen, daß er recht gehabt hat. Nun, ich möchte das Gericht jetzt darauf aufmerksam machen, daß der Befehl, den mein Mandant erhielt, kein x-beliebiger Befehl war. Und damit meine ich nicht nur den dramatischen, um nicht zu sagen drakonischen Inhalt des Befehls. Ich meine, daß es ein Befehl war, auf den sich die schwedische Regierung mit den Regierungen in Washington, Moskau und möglicherweise auch Helsinki geeinigt hatte. Die Präsidenten der beiden Supermächte, nun ja, der damaligen Supermächte, hatten sich mit dem Präsidenten der Republik Finnland und dem schwedischen Ministerpräsidenten geeinigt. Der Befehl wurde meinem Mandanten von seinem nächsthöheren Vorgesetzten erteilt, jedoch von dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher