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Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Antonio Hill
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anderes ein, an den sie sich wenden konnte. César war stark, konnte sie beschützen … Sie ließ ewig klingeln, dann war klar, dass niemand antworten würde, und noch immer zitternd machte sie den Fernseher aus und schloss sich in ihrem Zimmer ein.
    Die Musik dröhnte weiter, wie eine Kriegserklärung. Und Sílvia beschloss, sich diesmal kampflos zu ergeben und so zu tun, als ob sie es nicht hörte.
    César hätte liebend gern geantwortet, wenn er den Anruf eine Stunde früher erhalten hätte, als er noch zu Hause war und auf den blöden Teppichfleck starrte, der seine ganze Gegenwart und einen Teil seiner Zukunft zusammenzufassen schien. Dass Sílvia ihm verzieh, war so undenkbar, wie den Geschmack von Emma zu vergessen. Nachdem er eine ganze Schachtel Zigaretten geraucht und vergeblich auf eine Antwort gewartet hatte, beschloss er hinauszugehen und etwas zu tun, was für ihn lange nicht mehr infrage gekommen war. Das Handy nahm er nicht mit.
    Der Nachtclub in der Calle Muntaner empfing ihn mit jener umstandslosen Gewogenheit, nach der er suchte. Er war sich sicher, dass dieser Ort mit den dunklen Ecken ihm zum Preis eines Getränks, und sei er absurd hoch, genau das bieten würde, was er zur Beruhigung seines Gemüts brauchte. Bevor er losging, hatte er nicht einmal geduscht, aber es warihm egal. Niemand würde es ihm hier vorwerfen. Auf dem Barhocker sitzend, das Glas in der Hand, musterte er die Gesichter der Mädchen, die in dem Club arbeiteten, suchte nach einem, das in ihm so viel Lust weckte, dass er die Brieftasche öffnete. Bald kamen ihm alle wie alte Weiber vor, verbraucht, so anders als das, was er im Sinn hatte, und er fühlte sich nicht mehr in der Lage, mit ihnen zu bumsen. Nachdem er den Whisky in einem Schluck ausgetrunken hatte, bestellte er einen weiteren und fragte den Kellner, ganz leise: »Sag mal, weißt du, wo ich so ein junges Ding finde? Du verstehst schon, jung … richtig jung.«
    Octavi Pujades’ Frau starb am frühen Abend, als der Schneefall nicht mehr als eine Drohung war. Sie war am Nachmittag einfach eingeschlafen. Als Octavi vor dem Essen zu ihr ging, wusste er gleich, dass ihr Herz nicht mehr schlug.
    Er setzte sich neben sie aufs Bett. Ihm war klar, dass er die Kinder anrufen und mit den ganzen Vorbereitungen beginnen sollte, aber er wollte noch eine Weile mit ihr allein sein. Er strich ihr über die Stirn und sprach leise ein Gebet, es war das Einzige, was ihm angebracht schien. An so vielen Abenden schon hatte er sich, im Glauben, es ginge zu Ende, von ihr verabschiedet, dass er ihr jetzt, wo der Moment gekommen war, nicht mehr viel zu sagen hatte. Eugènia war schon zu oft gestorben, als dass ihn der endgültige Tod erschütterte.
    Dann ging er hinunter und trat vor die Haustür, wollte eine Luft atmen, die nicht nach Tod roch, und unwillkürlich dachte er nicht mehr an seine Frau, sondern an Gaspar, an Sara, an Amanda und die beiden toten jungen Männer. Er war von allen der Älteste, und ginge es nach der natürlichen Logik, sagte er sich, hätte er als Erster gehen müssen. Aber er war noch da, lebte noch, rauchte eine Zigarette, die sichweigerte, ihn zu töten, vor sich eine relativ abgesicherte Zukunft. Solange alle schwiegen. Darauf musste er vertrauen.
    An diesem Abend war nicht mal das Gebell der Hunde zu hören. Die Stille war vollkommen. Andere hätte es gestört, für ihn war es schon normal. Bald würde sich das Haus mit Menschen füllen: Kinder, angeheiratete Verwandte, Freunde, Bekannte, und es wäre Schluss mit dem Frieden. Er seufzte, da musste er durch. Es war das vorletzte Kapitel, bevor eine neue Geschichte begann. Verwitwet, fast im Vorruhestand und mit einem finanziellen Polster, um würdig in die Dämmerung des Lebens zu treten. Es war nicht ohne Ironie, dass er sich, wenn alles dabei blieb, nicht würde beklagen können, wie die Dinge für ihn gelaufen waren.
    Er musste ein Lächeln unterdrücken, als er zum Telefon griff, um seinen Sohn anzurufen und ihm zu sagen, dass seine Mutter gestorben war.
    Manel mochte kein Gewitter, keinen Regen und noch weniger den Schnee, der laut Nachrichten auf die Stadt zutrieb. Ein Schneefall, der diese schrecklichen, beschämenden Tage beenden würde, Tage, in denen man ihn behandelt hatte wie einen Verbrecher. Ausgerechnet ihn, wo er bloß zugesehen und zugestimmt hatte. Man hatte ihn in ein schmutziges Loch gesperrt, zusammen mit stinkenden Gefangenen, und dann in ein öffentliches Krankenhaus gefahren, wo er unter
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