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Der einsame Baum - Covenant 05

Der einsame Baum - Covenant 05

Titel: Der einsame Baum - Covenant 05
Autoren: Stephen R. Donaldson
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hatte.
    Linden konnte die Riesen droben singen hören, doch infolge der Geräuschkulisse des Meeres ließen ihre Worte sich nicht verstehen. Aber Linden unterdrückte den Drang, die Kabine erneut zu fliehen und wieder die trügerische Sicherheit der Versammlung auf dem Achterdeck zu suchen. Vielmehr ging sie dem schwachen Geruch von Diamondraught nach, der ihr auffiel, bis sie die Flasche mit dem kraftvollen Riesen-Getränk mitten auf dem Tisch entdeckte. Daraufhin jedoch zögerte sie erst einmal. Diamondraught war ein wirksames Heil- und Stärkungsmittel, wie sie inzwischen aus persönlicher Erfahrung wußte; aber auch die schlaffördernde Wirkung war ziemlich stark. Sie zögerte, weil sie sich davor fürchtete zu schlafen; sie scheute den Schlaf, weil sie sich sorgte, er könne lediglich eine weitere Art der Flucht vor etwas sein, dem sie sich in Wirklichkeit dringend stellen, das sie meistern mußte. Doch sie hatte diese Stimmungszustände in der Vergangenheit schon oft genug durchgestanden, sie durchgehalten, bis ihr danach gewesen war, zu weinen wie ein Kind – und was hatte ihr das eingebracht? Sie traf eine Einschätzung der Diamondraught -Wirkung und trank zwei kleine Schlucke. Dann kletterte sie in die Hängematte, zog eine Decke über ihren Körper, um etwas dem Mißstand abzuhelfen, daß ihre Nerven sich so entblößt anfühlten, und versuchte sich zu entspannen. Noch ehe sie ihre Muskeln zu entkrampfen vermochte, schaukelte das Schwanken der Dromond sie in den Schlaf.
    Für einige Zeit blieb die Welt ihres Schlummers segensreich leer. Sie schwebte auf weiten, gemächlichen Wogen des Schlafs auf einer Reise vom Nichts ins Nichts dahin, ohne daß irgend etwas sie behelligte. Doch allmählich verwandelte die Nacht sich in jene Nacht im Wald hinter der Haven Farm, und vor ihr brannte das Feuer zur Beschwörung Lord Fouls. Dort lag Joan, besessen durch eine Macht von solcher Grausamkeit, daß sie Linden bis ins Innerste ihrer Seele mit Entsetzen erfüllte. Covenant nahm Joans Stelle ein, und Linden riß sich aus ihrer einer Lähmung ähnlichen Starre, begann den Abhang hinunterzulaufen, um ihn zu retten, lief für alle Ewigkeit den Hang hinab, ohne Covenant jemals erreichen, ohne jemals die unfaßbare Gewalttat vereiteln zu können, die ihm den Dolch in die Brust rammte. Die Klinge bohrte sich weißlich wie ein böser, fürchterlicher Reißzahn in ihn. Als sie endlich doch zu ihm gelangte, sprudelte Blut aus der Wunde – mehr Blut, als sie je im Leben gesehen hatte. Unvorstellbar, daß ein einziger Körper soviel Blut enthalten sollte! Es quoll ihm aus dem Leib, als wäre mit dem einen Dolchstoß eine ganze Schar von Menschen erstochen worden. Linden konnte den Blutstrom nicht stillen. Ihre Hände waren zu klein, um die Wunde zu bedecken. Sie hatte die Arzttasche im Auto gelassen. In fieberhafter Hast zerriß sie ihr Hemd, um die Blutung zu stoppen, machte dadurch sich selbst nackt und schutzlos; doch der Flanell war praktisch sofort mit Blut getränkt, nutzte überhaupt nichts. Blut befleckte ihre Brüste und Schenkel, während sie versuchte, Covenants Leben zu retten, und doch dazu außerstande war. Trotz aller Anforderungen, mit denen sie sich während ihrer Ausbildung auseinandergesetzt hatte, trotz all ihrer Aufopferungsbereitschaft wollte es ihr nicht gelingen, diesem roten Strom Einhalt zu gebieten. Die Wunde vergrößerte sich; binnen kurzem war sie so breit wie Covenants Brustkorb. Ihre Scheußlichkeit zerfraß sein Gewebe wie Säure. Lindens Hände umklammerten unverändert den nutzlosen, blutgetränkten Stoff, noch immer versuchte sie wie wahnwitzig, indem sie Druck ausübte, diesen Quell von Blut zum Versiegen zu bringen; aber die Wunde weitete sich, bis ihre Arme bis zu den Ellbogen darin staken. Rot floß über ihre Oberschenkel, als sei es das Blutwasser der ganzen Welt. Sie hing mit dem Oberkörper überm Rand der Wunde, die Arme in ihren roten Schlund gestreckt, als gedächte sie dem eigenen Tod entgegenzutauchen. Und die Wunde erweiterte sich fortgesetzt. Bald war sie größer als die steinerne Fläche, auf die Covenant gefallen war, größer als diese Geländemulde mitten im Wald. Da erkannte Linden mit einem Schock des Begreifens, daß die Wunde mehr war als ein Messerstich in Covenants Brust: sie war ein Stich ins Herz des Landes. Die Stichwunde war für sie zur Grube geworden, ihre Ränder bestanden aus durchnäßten Abhängen, und das Blut, das sich über sie ergoß, war das Blut des
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