Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Dunkle Turm 1 - Schwarz

Titel: Der Dunkle Turm 1 - Schwarz
Autoren: King Stephen
Vom Netzwerk:
eingetroffen war, war es noch frisch gewesen. Die Sonne war eine Stunde vorher untergegangen, aber der Revolvermann war dennoch weitergereist und hatte sich vom Leuchten der Stadt am Himmel und von den Klängen eines Honky-Tonk-Klaviers leiten lassen, das Hey Jude spielte. Als es Beifall dafür bekam, wurde die Straße breiter.
    Der Wald war längst verschwunden und monotonem Flachland gewichen: endlose einsame Felder mit Thimoteusgras und niederem Gestrüpp, Hütten, unheimliche, verlassene, von düsteren, schattigen Herrenhäusern bewachte Anwesen, wo zweifellos Dämonen wandelten; glotzende leere Schuppen, deren Bewohner weitergezogen oder vertrieben worden waren, gelegentlich die Hütte eines Grenzbewohners, die in der Nacht vom winzigen Aufflackern eines Lichts verraten wurde, und am Tage von mürrischen, inzüchtigen Familienklans, die schweigsam auf den Feldern arbeiteten. Getreide wurde am häufigsten angebaut, aber hin und wieder auch Bohnen und ein paar Erbsen. Ab und zu sah ihn eine vereinzelte Kuh glotzäugig zwischen abgeschälten Erlenpfosten heraus an. Viermal waren Kutschen an ihm vorbeigekommen, zweimal waren sie gekommen, zweimal gegangen, fast leer, als sie sich von hinten genähert und ihn und sein Maultier passiert hatten, voller, als sie zu den Wäldern des Nordens zurückfuhren.
    Es war ein häßliches Land. Seit er Pricetown verlassen hatte, hatte es zweimal geregnet, beidesmal widerwillig. Selbst das Thimoteusgras sah gelb und niedergeschlagen aus. Häßliches Land. Vom Mann in Schwarz hatte er keine Spur gesehen. Vielleicht hatte er eine Kutsche genommen.
    Die Straße machte eine Biegung, dahinter ließ der Revolvermann das Maultier anhalten und sah auf Tull hinab. Es lag auf dem Grund einer kreisrunden, schüsselförmigen Schlucht, ein kitschiges Juwel in einer billigen Fassung. Eine Anzahl Lichter war zu sehen, die sich weitgehend um die Gegend drängten, aus der die Musik kam. Es schien vier Straßen zu geben, drei davon verliefen rechtwinklig zur Kutschenstraße, die die Hauptstraße der Stadt war. Vielleicht würde er dort ein Restaurant finden. Er bezweifelte es, aber es könnte ja sein. Er schnalzte mit der Zunge, damit das Maultier weiterging.
    Jetzt wurde die Straße von mehr sporadischen Häusern gesäumt, doch die meisten waren immer noch verlassen. Er kam an einem kleinen Friedhof mit morschen Holztafeln vorbei, die schief waren und vom üppigen Teufelsgras überwuchert und erwürgt wurden.
    Etwa hundertfünfzig Meter weiter kam er an einem verwitterten Schild vorbei, auf dem stand: TULL.
    Die Farbe war bis fast zur Unleserlichkeit abgeblättert. Etwas weiter hinten stand ein weiteres, aber das konnte der Revolvermann überhaupt nicht entziffern.
    Ein Narrenchor halb drogenbenebelter Stimmen schwoll zur letzten langen Strophe von Hey Jude an – »Naa-naa-naa-na-nana-na… hey, Jude…«-, als er die Stadtgrenze überschritt. Es war ein toter Laut, wie der Wind im Innern eines hohlen Baumstamms. Nur das prosaische Klimpern und Dröhnen des Honky-Tonk-Klaviers hielt ihn davon ab, sich allen Ernstes zu fragen, ob der Mann in Schwarz nicht Geister heraufbeschworen haben konnte, um die Geisterstadt zu bevölkern. Er lächelte ein wenig über diesen Gedanken.
    Ein paar Menschen waren auf den Straßen, nicht viele, aber ein paar. Drei Damen in schwarzen Hosen und in den gleichen Matrosenblusen gingen auf dem gegenüberliegenden Gehweg vorbei, sie sahen ohne besondere Neugier zu ihm herüber. Ihre Gesichter schienen wie riesige bleiche Baseballs mit Augen über ihren fast unsichtbaren Körpern zu schweben. Auf den Stufen eines zugenagelten Lebensmittelladens betrachtete ihn ein ernster alter Mann, der einen Strohhut fest auf den Kopf gezogen hatte. Ein hagerer Schneider, der noch einen späten Kunden hatte, sah ihm nach; er hielt die Lampe in seinem Schaufenster hoch, damit er besser sehen konnte. Der Revolvermann nickte. Weder der Schneider noch sein Kunde erwiderten das Nicken. Er konnte förmlich spüren, wie ihre Blicke schwer auf den tiefhängenden Halftern an seinen Hüften ruhten. Ein Junge, schätzungsweise dreizehn, und sein Mädchen überquerten einen Block weiter die Straße und hielten unmerklich inne. Ihre Schritte wirbelten kleine, beständige Staubwolken auf. Einige der Straßenlaternen funktionierten, aber ihre Glasscheiben waren von geronnenem Öl verschmiert. Die meisten waren eingeschlagen worden. Da war eine Mietstallung, deren Überleben wahrscheinlich von der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher