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Der dunkle Spiegel

Titel: Der dunkle Spiegel
Autoren: Andrea Schacht
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letzten Worten leichenblass geworden und schwankte auf seinem Sitz, doch seine Frau starrte Almut mit blankem Entsetzen im Gesicht an.
    »Ihr schweigt? Dann will ich für Euch reden, Frau Dietke! Beide tatet Ihr es. Ihr habt Jean mit der Hustenmedizin betäubt, und Rudger hat den bewusstlosen Jungen in den Keller getragen und ihn den tödlichen Schwefeldämpfen ausgesetzt. Ihr wart eifersüchtig, und Euer Bruder ist Euer Vertrauter, ein Abhängiger Eures Wohlwollens und Eurer Zuneigung.«
    »Nein!«, schrie Dietke auf und klammerte sich an ihren Mann. »Nein, so war es nicht!«
    »Nicht? Wie dann?«
    »Ich habe ihm die Arznei gegeben. Ja, das tat ich. Ich hoffte, er würde daran sterben. Aber er schlief nur. Als ich mittags nach ihm sah, schlief er. Aber dann kam ich noch einmal später in sein Zimmer, und er war fort. Er konnte nicht weit gegangen sein, dazu war er zu benommen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, die Folgen meiner unbedachten Tat schmerzten mich, und so suchte ich ihn im ganzen Haus. Ich fand ihn dort im Keller, weiß Gott, was er da wollte! Ich habe ihn wieder in sein Zimmer bringen lassen.«
    »Ihr lügt noch immer, Frau Dietke! Ich habe mich nämlich daran erinnert, dass auch Rudgers Augen gerötet waren und seine Nase lief, als er mir das Geld für die Medizin und das Duftwasser gab.«
    Seufzend lehnte Almut den Kopf an die Wand und schloss die Augen. Das Reden strengte sie noch immer an.
    »Richtig, Ihr lügt, Frau Dietke. Euer Bruder hat Jean, als er bewusstlos war, in den Keller getragen. Mag sein, dass Ihr das wirklich nicht von ihm verlangt habt. Aber er hat ihn auch wieder zurück in sein Zimmer gebracht, nachdem Ihr ihn gefunden habt. Ist es nicht so?«
    Pater Ivo hatte das Wort ergriffen, und seine Stimme klang kalt und wütend.
    Dietke biss sich auf die Lippen und hielt sich starr aufrecht. Aber sie sagte kein einziges Wort.
    »Es war so, Frau Dietke. Denn warum sonst hat Euer Bruder heute die Begine in eben diesen Keller eingesperrt? Sie war Euch auf die Spur gekommen, und Ihr habt ihm von Eurem Gespräch beim Verlobungsfest berichtet. Er oder Ihr beide wolltet auch sie mundtot machen!«
    »Warum schützt du deinen Bruder, Dietke?«, fragte jetzt auch de Lipa mit gebrochener Stimme.
    »Er hat in seinem Leben genug gelitten«, flüsterte sie. »Er hatte Mitleid mit mir, Hermann. Er wusste um Eure widerwärtige Neigung zu Jean. Er wusste, wie sehr Ihr mich als Frau verachtet. Er wusste, wie sehr ich unter Eurer Kälte zu leiden habe. Er wusste, dass Ihr mir kein Kind schenken wolltet. Er liebt mich, im Gegensatz zu Euch, der Ihr nur eine Frau zum Vorzeigen brauchtet, um Euren Ehrgeiz zu befriedigen und Eure sündhaften Gelüste zu verbergen.« Ihre Stimme war lauter und lauter geworden, und sie schrie ihren Mann nun mit aller Wut an, die sie seit Jahren aufgestaut hatte. »Ich habe dich geliebt! Ich hätte alles für dich getan, aber du hast Schande über uns gebracht, und nun ist unser aller Leben ruiniert!«
    Sie brach ab und sah mit steinernem Gesicht in die graue Dämmerung hinaus.
    »Ihr wisst, dass sie Recht hat, de Lipa!«, sagte Pater Ivo ruhig. »Ihr wisst, welche Strafen auf Euer Vergehen stehen. Werdet Ihr öffentlich angeklagt, so wird man Euch entmannen. Fallt Ihr ein zweites Mal auf, droht Euch der Scheiterhaufen. Selbst wenn es nicht öffentlich bekannt wird – wer wird noch mit Euch verkehren wollen? Und einige wenige wissen nun schon um Eure Verfehlung.« Kopfschüttelnd sah Pater Ivo den Weinhändler an. »Und ich habe den Jungen in Eure Obhut empfohlen!«
    Völlig tonlos sagte de Lipa: »So bin ich denn schuld an Jeans Tod.«
    »Ja, so seid Ihr schuld an seinem Tod.«
    »Was werdet Ihr jetzt tun?«
    »Rudger muss dem Gericht übergeben werden. Ich werde Anklage gegen ihn erheben wegen Mordes, und ich denke, die Begine kann in ihrem Fall das Gleiche tun.«
    »Und wir werden als Zeugen uns selbst beschuldigen. O mein Gott!«
    »Ihr seid gnadenlos, Pater Ivo«, sagte Almut, die mit geschlossenen Augen zugehört hatte. »Ich wusste es schon immer.«
    »Herzlos, Begine, ich sagte es Euch.«
    »Ja, das seid Ihr. Ihr seid im Recht. Und Ihr seid gnadenlos.«
    »So kennt Ihr denn irgendeinen Grund dafür, warum ich in diesem Fall Gnade walten lassen sollte? Dann nennt ihn mir.«
    Almut öffnete die Augen und sah die beiden de Lipas traurig an.
    »Frau Dietke liebt ihren Mann und wird nicht wiedergeliebt. Sie leidet unter der unerwiderten Liebe. Rudger hat seine Gesundheit
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