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Der dunkle Fluss

Der dunkle Fluss

Titel: Der dunkle Fluss
Autoren: John Hart
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in Besitzerhaltung am Pfosten meines Vaters. Ein wissendes Funkeln erschien in seinen Augen, und sein Lächeln wurde schmaler und verwandelte sich in ein Statement.
    »Cheers«, sagte er.
    »Ja, Jamie. Cheers.«
    Die Flaschen klirrten, und wir tranken unser Bier in der stillen, drückenden Luft. »Wissen die Cops, dass du wieder da bist?«, fragte Jamie.
    »Ja.«
    »Mein Gott.«
    »Die können mich«, sagte ich.
    Irgendwann hob Jamie den Arm, spannte die Muskeln und zeigte auf seinen Bizeps. »Dreiundzwanzig Zoll«, sagte er.
    »Nett«, sagte ich.
    »Artillerie, Baby.«
    Flüsse finden immer den Weg in die Niederungen — dazu sind sie gemacht —, und als ich jetzt auf den hinunterschaute, der unsere Grenze bildete, dachte ich mir, dass dieses Talent vielleicht auf meinen Bruder abgefärbt hatte. Jamie redete von Geld, das er ausgegeben, und von Mädchen, die er flachgelegt hatte. Er zählte sie auf — es waren viele. Unsere Unterhaltung beschränkte sich auf diese Themen, bis er mich fragte, warum ich zurückgekommen sei.
    Diese Frage kam am Ende seines zweiten Biers, und er stellte sie beiläufig, als sei sie nicht von Bedeutung. Aber seine Augen konnten nicht lügen. Es war das Einzige, was ihn interessierte.
    Wollte ich jetzt hierbleiben?
    Ich sagte ihm die Wahrheit, wie ich sie sah: Ich bezweifelte es.
    Er verbarg seine Erleichterung gut, das musste ich ihm lassen. »Aber zum Essen bleibst du?« Er trank sein Bier aus. »Meinst du, ich sollte?« Er kratzte sich im dünnen Haar. »Vielleicht wäre es leichter, wenn nur Dad hier ist. Ich glaube, er wird dir verzeihen, was passiert ist, aber Mom wird nicht glücklich sein. Das ist die Wahrheit.«
    »Ich bin nicht hier, weil ich um Verzeihung bitten will.«
    »Verdammt, Adam, lass uns nicht wieder davon anfangen. Dad musste sich entscheiden. Er konnte dir glauben, und er konnte Mom glauben, aber nicht euch beiden.«
    »Das hier ist immer noch meine Familie, Jamie, trotz allem, was passiert ist. Sie kann mir nicht gut befehlen wegzubleiben.« Jamies Augen wurden plötzlich verständnisvoll. »Sie hat Angst vor dir, Adam.«
    »Ich bin hier zu Hause.« Die Worte klangen hohl. »Ich wurde freigesprochen.«
    Jamie rollte die massigen Schultern. »Du musst es wissen, Bruder. So oder so wird's interessant werden. Ich bin froh, dass ich einen Platz in der ersten Reihe habe.«
    Sein Lächeln war offensichtlich falsch. Aber er gab sich Mühe. »Du bist ein Arsch, Jamie.«
    »Du darfst mich nicht hassen, nur weil ich schön bin.«
    »Also morgen Abend. Warum nicht gleich alles auf einmal erledigen.« Doch das war es nur zum Teil. Ich spürte den Schmerz, ein tiefes Bohren, das noch Platz zum Wachsen hatte. Ich dachte an Robins dunkles Schlafzimmer und dann an meinen Vater und an den Brief, den er nicht hatte schreiben können. Ein bisschen Zeit wäre gut für alle.
    »Und wie geht's Dad?«
    »Ach, der ist kugelfest. Du kennst ihn.«
    »Nicht mehr«, sagte ich, aber Jamie ignorierte mich. »Ich geh jetzt zum Fluss hinunter, und dann bin ich weg. Sag Dad, es tut mir leid, dass ich ihn verpasst habe.«
    »Grüß Grace«, sagte er.
    »Ist sie da unten?«
    »Jeden Tag. Immer um dieselbe Zeit.«
    Ich hatte viel an Grace gedacht, wusste bei ihr jedoch noch weniger als bei allen anderen, wie ich sie ansprechen sollte. Sie war zwei Jahre alt, als sie zu Dolf kam, und immer noch ein Kind, als ich weggegangen war, zu jung für irgendeine Erklärung. Dreizehn Jahre lang war ich ein großer Teil ihrer Welt gewesen, und sie verlassen zu haben erschien mir als der größte Verrat von allen. Alle meine Briefe waren ungeöffnet zurückgekommen. Irgendwann hatte ich aufgehört, ihr zu schreiben.
    »Wie geht's ihr?« Ich ließ mir nicht anmerken, wie wichtig die Antwort war.
    Jamie schüttelte den Kopf. »Sie ist 'ne wilde Indianerin, da gibt's kein Vertun, aber das war sie ja immer. Aufs College geht sie nicht, wie es aussieht. Hat Gelegenheitsjobs, hängt auf der Farm rum, lebt von dem, was das Land ihr gibt.«
    »Ist sie glücklich?«
    »Sie sollte es sein. Sie ist die schärfste Granate in drei Countys.«
    »Ach, wirklich?«
    »Verdammt, ich würde sie ficken.« Er zwinkerte mir zu, ohne zu merken, wie nah er einer Tracht Prügel war. Ich sagte mir, er meinte es nicht so. Er war nur ein Klugscheißer, und er hatte vergessen, wie sehr ich Grace liebte. Wie groß meine Beschützergefühle für sie immer gewesen waren.
    Er wollte keinen Streit anfangen.
    »War schön, dich zu sehen, Jamie«,
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