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Der dunkle Fluss

Der dunkle Fluss

Titel: Der dunkle Fluss
Autoren: John Hart
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erwischt, ein schwarzhäutiges, schlammfressendes Biest, das an die zwanzig Pfund wiegen mochte.
    »Der Eimer wird nicht groß genug sein«, sagte ich.
    »Ich nehme ihn hier aus.« Seine Hand wanderte stolz zu dem schmalen Messer an seinem Gürtel. Es hatte einen fleckigen Holzgriff mit hellen Nieten aus gebürstetem Metall. Die Scheide war aus schwarzem Leder; weiße Risse ließen erkennen, dass er sie nicht überall gründlich eingefettet hatte. Er berührte kurz den Griff, und ich spürte seinen Eifer.
    »Na schön. Dann viel Glück.«
    Ich ging im weiten Bogen um ihn herum, und er blieb auf seinem Rad sitzen, bis ich den Wagen aufgeschlossen hatte und eingestiegen war. Sein Blick ging von mir zum Fluss hinunter, und sein Grinsen wurde breiter, als er den Eimer von der Schulter nahm und das dünne Bein hinten über das Rad schwang. Ich fuhr zurück auf die Straße und suchte ihn noch einmal im Rückspiegel: einen staubigen Jungen in einer sanftgelben Welt.
    Fast konnte ich mich daran erinnern, was für ein Gefühl das war.
    Ich hatte eine Meile zurückgelegt, bevor die Sonne ihren Großangriff begann. Für meine versengten Augen war das zu viel, und ich setzte eine dunkle Brille auf. In New York hatte ich gelernt, was harter Stein, Enge und graue Schatten waren. Hier war alles so offen. So üppig. Ein Wort tastete sich in meinen Hinterkopf.
    Strotzend.
    So strotzend grün. Irgendwie hatte ich es vergessen, und das war in so vieler Hinsicht falsch, dass es mir ganz flau wurde.
    Ich bog ein paarmal ab, und die Straßen wurden immer schmaler. Mein Fuß trat das Gaspedal durch, und als ich den nördlichen Rand der Farm meines Vaters erreichte, fuhr ich viel zu schnell, mindestens siebzig Meilen. Ich konnte nicht anders. Das Land war narbig von Emotionen, von Liebe, Verlust und einem stillen, zersetzenden Schmerz. Die Einfahrt rauschte an mir vorbei, ein offenes Tor und eine lange Zufahrt durch welliges, grünes Land. Die Tachonadel berührte die Achtzig, und all das Schlimme brach über mich herein, sodass ich den Rest kaum noch sehen konnte. Das Gute. Die Jahre, bevor alles auseinanderbrach.
    Fünfzehn Minuten später kam die Stadtgrenze von Salisbury; ich bremste und fuhr im Schritttempo weiter, während ich eine Baseballmütze aufsetzte, um mein Gesicht noch besser zu verbergen. Ich wusste, dass die Faszination, die dieser Ort in mir auslöste, morbide war. Aber er war mein Zuhause gewesen, und ich hatte ihn geliebt; also fuhr ich durch die Stadt, um sie mir anzusehen. Sie wirkte immer noch historisch und reich, immer noch klein und südstaatlich, und ich fragte mich, ob sie mich noch schmecken konnte, nachdem sie mich vor so vielen Jahren ausgespuckt hatte.
    Ich fuhr an dem renovierten Bahnhof vorbei, an den alten Villen, voller Geld bis unters Dach, und ich wandte das Gesicht ab von den Männern auf den vertrauten Bänken und den Frauen in den bunten Kleidern. An einer Ampel hielt ich an und beobachtete die Anwälte, die mit großen Aktenkoffern breite Treppen hinaufstiegen, und dann bog ich links ab und hielt vor dem Gericht an. Ich konnte mich an die Augen jedes einzelnen Geschworenen erinnern, und unter meinen Fingern fühlte ich die Maserung des Tisches, an dem ich drei lange Wochen gesessen hatte. Wenn ich die Augen schloss, spürte ich noch jetzt das Gedränge der Leute auf der Treppe vor dem Gerichtsgebäude; ihre wütenden Blicke und das helle Blitzen ihrer Zähne trafen mich wie ein beinahe körperlicher Schlag.
    Nicht schuldig.
    Diese Worte hatten Wut entfesselt.
    Ich sah mich ein letztes Mal um. Es war alles da und alles falsch, und ich konnte den Groll nicht leugnen, der in mir brannte. Meine Finger gruben sich ins Lenkrad, der Tag kippte, und der Zorn schwoll in meiner Brust, bis ich dachte, ich müsste daran ersticken. Ich rollte südwärts die Main Street hinunter und dann nach Westen. Fünf Meilen hinter der Stadt fand ich das Faithful Motel. Es überraschte nicht, dass es in meiner Abwesenheit seinen Abstieg in den Verfall fortgesetzt hatte. Vor zwanzig Jahren hatte das Geschäft gebrummt, aber der Verkehr war zum Erliegen gekommen, als Kirchen-Mommys und Pfarrer dem Drive-in-Pornokino auf der anderen Straßenseite einen Pflock durch das Herz getrieben hatten. Jetzt war es eine Absteige, eine lange Reihe verwitterter Türen: Stunden- und Wochenmieter und Wanderarbeiter, die zu viert in ein Zimmer gestopft wurden.
    Ich kannte den Mann, dessen Vater es führte: Danny Faith. Er war mein Freund
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