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Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Titel: Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
Autoren: Stephan Russbült
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suchen, die in dieser Art Etablissement genauso häufig vorzufinden war wie gutes Essen oder eine freundliche Bedienung.
    »Na, sagt schon«, drängte der Reisende.
    »Man kann den Elfen nicht trauen, weil sie die Menschen als minderwertig ansehen«, platzte es aus dem angetrunkenen Händler heraus, als ob er es schnell hinter sich bringen wollte.
    Der Reisende schnaubte verächtlich, lachte kurz auf und wandte sich wieder seinem Becher Rotwein auf dem Tresen zu. Die Antwort war eine Erleichterung für ihn. Zum einen zeigte sie, dass der Händler keine Ahnung hatte, worüber er sprach, zum anderen bewies sie, dass die Elfen richtig lagen mit dem, was sie über Menschen dachten. Der Händler redete über Eichenstadt, die Heimat der Elfen im Westen des Landes Nurok, die hoch über dem Boden zwischen den Ästen von gewaltigen Bäumen erbaut worden war   – nicht Eichen blatt stadt. Ersteres war ein Ort der Mystik, der Schönheit und Reinheit. Ein Ort, der frei von allen Makeln inmitten einer Welt aus Gier und Neid geschaffen war, und der, wie die Krone vom Haupt eines Königs, alles andere um sich herum verblassen ließ. Ein Ort, zu dem weder die Sterblichen noch die Götter etwas beitragen konnten, um ihn besser oder vollkommener zu machen. Er hingegen suchte nach einem anderen Ort   …
    Dreißig Jahre hörte sich der Reisende jetzt schon an den unterschiedlichsten Orten der Welt nach Eichenblattstadt um, und seit dreißig Jahren verliefen die Gespräche so oder ähnlich. Einige gaben zu, nichts zu wissen, andere, wie auch der Händler, glaubten, etwas zu wissen, und wiederum andere erfanden die haarsträubendsten Geschichten, nur um etwas erzählen zu können. Eines jedoch war allen gemeinsam: Sie alle hatten keine blassen Schimmer, wo oder was Eichenblattstadt war. Solange dies so blieb, war alles gut.
    Es war wichtig, dass Eichenblattstadt für die meisten Menschen nur ein Name blieb, dem allein ihre eigene Phantasie ein Aussehen verlieh. Große Dinge würden dort geschehen, doch diese würden nur eintreten können, wenn sie ohne Vorwarnung passierten. Die Aufgabe des Reisenden war es, dafür zu sorgen, dass alles so blieb, wie es war. Er selbst würde bestimmen, wann es an der Zeit war, der Welt die Augen zu öffnen. Von diesem Zeitpunkt an würde Eichenblattstadt nicht mehr nur ein Name sein. Ihm war natürlich bewusst, dass seine Fragen ein Interesse an diesem Ort auch auflodern lassen konnten, doch dieses Risiko war er bereit einzugehen, denn es war verschwindend gering.
    Wer sich also die Mühe machen wollte, herauszufinden, warum der Reisende jede zufällige Bekanntschaft zwischen Feuerberg und Trebstein nach diesem geheimnisvollen Ort ausfragte, mutete sich viel zu. Er wäre gezwungen, im Laden eines gut sortierten Kartographen nach einer möglichst detailgetreuen Karte des nordöstlichen Gebietes des Kontinents Trumbadin zu suchen   – ein langwieriges, aber nicht hoffnungsloses Unterfangen. Wäre dieses Martyrium von Erfolg gekrönt, erschiene das Ziel zum Greifen nahe. Nun hieße es nur noch, sich durch ein Gewirr aus Strichen, Symbolen und winzigen Betitelungen hindurchzuarbeiten. Irgendwann würde man dann vielleicht durch Zufall auf den Namen Graumark stoßen, einen kleinen, freien und wirtschaftlich recht unbedeutenden Landstrich. Graumark ähnelte von der Form her einem Küstenstreifen ohne Küste. Es lag eingeklemmt von dem Königreich Lonnas auf der einen Seite und den weitestgehend unerforschten Barbarenlanden auf der anderen Seite. Genau an dieser Grenze lag ein riesiges Waldgebiet mit dem heimeligen Namen Düsterkrallenwald. Im Norden grenzte er an den Graurücken, einen Gebirgsmassiv, das sich über hundert Meilen von Ost nach West quer durch Graumark erstreckte. Im Osten und Westen lag eine wenig markante Graslandschaft und im Süden ein Hochmoor.
    Im Zentrum des Waldes wäre auf der Karte des nordöstlichen Trumbadins vermutlich ein kleiner Punkt verzeichnet. Auf den meisten Exemplaren blieb dieser unbetitelt, doch auf einigen würde man in winzigen Buchstaben den Namen Eichenblattstadt lesen können. Fand man den gesuchten Eintrag, zählte man zu den wenigen, die es geschafft hatten, und blickte voller Enttäuschung auf den winzigen unbedeutenden Fleck am oberen Rand einer ausgefransten und verblichenen Karte.
    Wer sich bis zu diesem Punkt immer noch nicht von der Bedeutungslosigkeit dieses Ortes hatte abschrecken lassen und seinen Wissensdurst nicht mit tristen Aufzeichnungen stillen
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