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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel
Autoren: Upton Sinclair
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aufgewendet wurde, was kinderleicht zu berechnen ist. Wenn auf den Weizenfeldern des Landes eine Million Arbeiter je hundert Tage arbeiten und ihr Gesamtprodukt eine Milliarde Bushel Weizen beträgt, dann ist der Wert von einem Bushel Weizen gleich dem zehnten Teil des Arbeitstages eines Landarbeiters. Nehmen wir eine willkürliche Summe und setzen als Lohn für Landarbeit fünf Dollar pro Tag an, dann kostet ein Bushel Weizen fünfzig Cent.«
    »Sie sagen ›für Landarbeit‹«, bemerkte Maynard. »Dann soll es also nicht für jede Arbeit den gleichen Lohn geben?«
    »Nein, wie Ihnen einleuchten wird, denn da es leichte Arbeit und schwere Arbeit gibt, hätten wir bald Millionen Landbriefträger und keine Bergleute. Natürlich könnte man einen Einheitslohn zahlen und dafür die Arbeitszeit variieren; letztere wird man sowieso von Fall zu Fall ändern müssen, je nachdem ob in dem betreffenden Industriezweig wenige oder viele Arbeitskräfte gebraucht werden. So ist es ja auch jetzt, nur mit dem Unterschied, daß die Umverteilung der Arbeiter systemlos und unvollkommen erfolgt, nämlich auf Gerüchte und Stellenanzeigen hin, statt durch ein allgemeines Amtsblatt der Regierung unmittelbar und umfassend organisiert zu werden.«
    »Und was ist mit jenen Berufen, bei denen sich die Zeit schwer berechnen läßt? Die Arbeit an einem Buch zum Beispiel.«
    »Nun, da sind die Herstellungskosten für das Papier, dann das Drucken und das Binden. Zusammen macht das etwa ein Fünftel des heutigen Buchpreises aus.«
    »Und wo bleibt der Autor?«
    »Ich habe bereits gesagt, daß der Staat die geistige Produktion nicht kontrollieren kann. Es könnte ja vorkommen, daß der Staat für ein bestimmtes Buch ein Jahr Arbeit ansetzt, während der Autor erklärt, er hätte dreißig Jahre daran geschrieben. Goethe hat einmal gesagt, jedes seiner Bonmots habe einen Beutel Gold gekostet. Was ich Ihnen hier skizziere, ist ein nationales oder vielmehr internationales System zur Befriedigung der materiellen Bedürfnisse des Menschen. Da der Mensch aber auch geistige Bedürfnisse hat, wird er länger arbeiten, mehr verdienen und sie nach seinem eigenen Geschmack und auf seine eigene Weise befriedigen. Ich lebe auf derselben Erde wie die Mehrheit, ich trage dieselbe Art von Schuhen und schlafe in derselben Art von Bett, aber meine Gedanken sind nicht dieselben wie die der Mehrheit, und ich möchte nicht für dieselben Denker zahlen, die sich die Mehrheit aussucht. Solche Dinge sollen der freien Wahl und privaten Initiative überlassen bleiben, so wie jetzt auch. Wenn Leute einen bestimmten Prediger hören wollen, tun sie sich zusammen und leisten einen nach Gutdünken bemessenen Beitrag, zahlen für eine Kirche, besolden den Prediger und hören ihm dann zu; ich, der ich ihn nicht hören will, bleibe weg, und es kostet mich nichts. Genauso gibt es Zeitschriften über ägyptische Münzen und katholische Heilige, über Flugapparate und sportliche Rekorde, ohne daß ich die geringste Notiz von ihnen nehme. Andererseits, wenn die Lohnsklaverei abgeschafft wäre und ich überschüssiges Geld verdienen könnte, ohne einem ausbeutenden Kapitalisten Tribut zahlen zu müssen, dann gäbe es eine Zeitschrift zur Verbreitung und Interpretation der Lehren von Friedrich Nietzsche, dem Propheten der Evolution, und ebenso eine zur Popularisierung Horace Fletchers, des Erfinders der edlen Kunst gründlichen Kauens, und sicher gleichfalls welche, die für Abschaffung der langen Röcke, für wissenschaftliche Ausbildung auch von Frauen sowie für Einführung der Scheidung bei gegenseitigem Einverständnis eintreten.«
    Schliemann holte Luft. »Puh, das war ja ein regelrechter Vortrag«, sagte er, »und dabei habe ich erst angefangen!«
    »Was gibt es denn sonst noch?« fragte Maynard.
    »Ich habe bisher nur aufgezeigt, welche Vergeudungen und welcher Leerlauf das auf Konkurrenzkampf beruhende System zwangsläufig begleiten, aber noch kaum davon gesprochen, wie wirtschaftlich und produktiv dagegen das gemeinwirtschaftliche System arbeitet. Nehmen wir an, daß eine durchschnittliche Familie aus fünf Personen besteht, so haben wir rund fünfzehn Millionen Familien in den Vereinigten Staaten, und davon leben wenigstens zehn Millionen für sich allein, wobei die leidige Hausarbeit entweder von der Hausfrau selbst oder aber von einer Lohnsklavin getan wird. Lassen wir das moderne System der pneumatischen Hausreinigung und die Arbeitsersparnis durch eine Gemeinschaftsküche
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