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Der dritte Berg

Der dritte Berg

Titel: Der dritte Berg
Autoren: J.F. Dam
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zum letzten Mal gesehen. Das begreife ich erst jetzt. Es folgen Räuspern und ein letztes Schnauben des Obduktionsarztes, der nun die Kunststoffhülle wieder über Maggies Kopf zieht. Dann trotten wir alle nach oben; Stahltüren öffnen und schließen sich. Ich wage es nicht, einen Blick zurück zu werfen.

    Mit schwerem Schritt verlässt Chefinspektor Fiala das Gelände der Klinik und bedeutet Wilson und mir, ihm durch den Nebel zu folgen. Die Kronen der Linden über uns sind blasse Skelette.
    Fiala steckt sich eine Zigarette an. Abrupt bleibt er stehen. »Gift«, sagt er. »Keinerlei äußere Gewaltanwendung.« Der Rauch steigt dabei durch seinen rostgrauen, buschigen Schnauzbart. Fiala trägt eine Jacke aus braunem Leder, dazu Cordhosen. Auch seine Wimpern sind rostfarben. »Und wenn Sie es genau wissen wollen, Dr. Rai, dafür ist dann der toxikologische Befund zuständig. Drei, vielleicht vier Tage.«
    »Vermutlich Suizid«, brummt Fiala weiter und setzt sich wieder in Gang. »Und was für eine kolossale Scheiße sowieso.«
    »Miss Chelseworth«, sage ich, »hätte sich niemals …«
    »Dass man sich in den Menschen nur nicht täuscht, sie bringen sich auch um, wenn sie achtunddreißig und quickfidel sind, wie Frau Chelseworth«, und dabei fängt Fiala sich einen finsteren Blick von Robert Wilson ein, für den sich Mitglieder der englischen Gesellschaft niemals einfach so um die Ecke bringen, fidel oder nicht. »Wir haben nichts, das auf einen Mord hindeuten könnte. Abgesehen von einem fehlenden Motiv.« Fiala sieht mich an. »Vorschläge?«
    Ich zucke mit den Schultern. Sie sind schwer. Es mag der Nebel sein. Er verdichtet sich und wird gleich wie ein grauer Felsblock auf uns fallen.
    »Und wie«, sage ich schwach, »sind Sie zu meiner Nummer gekommen?«
    »Sie haben gestern Abend noch mit Frau Chelseworth telefoniert.« Das ist natürlich keine Frage, sondern eine Feststellung. Ich nicke trotzdem. »Heute Morgen«, sagt Fiala und stößt die Worte mit jedem Schritt vor sich her über den nassen Asphalt, »kurz. vor neun. ist Frau Chelseworth. dann. verstorben.«
    »Anderthalb Stunden später«, fährt er nach pietätvoller Pause fort, »war die Polizei bereits zur Stelle. Man hat Frau Chelseworth in ihrer Agentur vermisst. Hätte dort einen wichtigen Termin wahrnehmen sollen. Frau Chelseworth stammte aus London?« Fiala tut, als ob er das nicht schon wüsste.
    »Nördlich von London«, sage ich. »Kleiner Landadel.«
    Wilson hüstelt. Er denkt, er muss jetzt etwas sagen. Wilson ist ganz dunkel gekleidet und bestes Westend-Englisch presst sich aus seiner Nase: »Die britische Botschaft, in deren Auftrag ich der Identifizierung beiwohnen durfte, ist besorgt, wie Sie sich denken können, Mr. Rai.«
    Eine Adlige, wenn auch nur Chelseworth, tot in Wien. Die ganze Botschaft aus dem Schlaf geschreckt. Fialas Schnauzbartspitzen zucken griesgrämig. Auch ihm gefällt dieser Wilson nicht. »Sie kennen doch Christian Fust, Miss Chelseworths früheren Ehemann?«, fragt er. »Seit drei Wochen liegt uns eine Vermisstenanzeige von Frau Chelseworth vor. Er ist Professor für …« Fiala zögert.
    »Kultur Südasiens«, ergänze ich.
    »Kultur Südasiens«, wiederholt Fiala langsam. Dieser für ihn neue Kontinent – Südasien! – macht ihn nachdenklich.
    »Ich habe Frau Chelseworth damals zur Polizei begleitet«, sage ich. »Sie war seit einem Jahr geschieden, aber trotz allem sehr besorgt wegen Christian Fusts langer Abwesenheit.«
    »Und Sie selber«, sagen Robert Wilsons dünne, hässliche, englische Lippen, »Sie haben diese Sorge nicht …?«
    Jetzt darf ich zum ersten Mal etwas verneinen, wenn ich mich dazu auch nur einer Kopfbewegung bediene. »Bei seinen Forschungen«, füge ich der Bewegung hinzu, »hält Herr Fust sich öfter in entlegenen Gegenden in Indien auf. Und er spricht nicht gerne vorzeitig über seine wissenschaftlichen Projekte.« Dann muss ich noch einen Satz sagen, den ich meinem Großvater schulde. »Sie kennen doch Indien?«, sage ich. »Das ist dieser sonderbare Landstrich, aus dem die vielen Nullen herstammen, welche die englischen Bankkonten noch heute so unübersichtlich machen.« Immer wenn ich auf Briten treffe, die ich nicht mag, geht es mir so. Nur Maggie und ich – wir beide waren ein postkoloniales Versöhnungsprojekt.
    Robert Wilson zuckt und zieht die Brauen hoch, gleich werden sie seinen Haaransatz berühren. Fiala gibt vor, nichts gehört zu haben, und verlangsamt seinen Gang. Wir
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