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Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Titel: Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift
Autoren: Elinor Lipman
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beiden.«
    »Ich kenne ihn ja gar nicht«, warf ich ein.
    »Es war ein Dienstbesuch«, erläuterte Ray. »Ich bin zur Beratung gekommen. Und jetzt lade ich sie zum Abendessen ein, weil sie mir zehntausend Eier sparen geholfen hat.«
    Nachdenklich blickte die Kellnerin auf ihren Block, dann sagte sie: »Ich bin gleich wieder da mit Ihrem Wein und der Vorspeise.«
    »Alle haben irgendeinen Eingriff auf ihrer Wunschliste, oder eine Narbe, die ich mir ansehen soll.«
    Er fragte, ob plastische Chirurgie einträglicher sei als normale.
    »Kommt darauf an. Nicht, wenn man auf Urlaub und Gehalt verzichtet, um Arme oder Entstellte zu operieren.«
    »Und Sie tun das?«
    »Eines Tages. Wenn alles gut geht.«
    »Ich habe Ärzte gesehen, die in den Urwald fliegen. Die Eltern von solchen missgebildeten Kindern marschieren Hunderte von Meilen, damit ein amerikanischer Arzt ihre siamesischen Zwillinge trennt, hab ich Recht?«
    »Eigentlich nicht. Das sind wirklich riesige Operationen. Da arbeiten ganze Teams -«
    »Na, vielleicht bring ich da auch was durcheinander. Aber Sie wissen schon, was ich meine - diese Launen der Natur.« Unsere Kellnerin brachte den Wein und wollte gleich mit dem Vorspeisenteller wiederkommen. Ray erhob sein Glas. »Auf Ihr Wohl, Doc. Und auf Ihre zukünftigen guten Taten.«
    »Ich verstehe nicht, warum Sie mich auf einen Kaffee einladen wollten, geschweige denn auf ein ganzes Abendessen.«
    »Nicht? Sie können sich nicht vorstellen, warum ein Mann Sie außerhalb des Krankenhauses sehen will?«
    »Wenn das jetzt ein Kompliment werden soll, wäre es mir lieber, Sie ließen es bleiben. Ich würde es Ihnen ohnehin nicht abnehmen.«
    Er streckte seine Hand zu mir herüber und schlug meine Speisekarte auf der Seite mit Pesce auf. »Ärzte - passen doch auf, was sie essen, und wissen Bescheid über gutes Cholesterin. Wie wär’s mit einem Stück Lachs?«
    Ich sagte, gut. Einverstanden.
    »Und da ist sie schon«, sagte Ray, als die Kellnerin Platz schuf für die Platte mit den frittierten bröckeligen Happen. »Ich nehme das Übliche. Und die Dame nimmt den Lachs.«
    »Gut durch«, sagte ich.
    Ray zwinkerte mir zu. »Wenn sie ihn unters Mikroskop legt, will sie nichts zappeln sehen.«
    »Was ist gleich noch mal Ihr Übliches....?«
    » Vongole . In Tomatensauce.«
    Die Kellnerin fragte, ob sie mich mal kurz auf der Toilette sprechen könne.
    »Fragen Sie sie doch hier«, forderte Ray sie auf.
    »Geht nicht. Sie muss sie sehen.«
    Ich sagte, ich könne ihr nicht helfen. Ich sei noch in der Ausbildung, nicht approbiert, und habe eben erst mein Praktikum in plastischer Chirurgie absolviert. Es tue mir Leid - ich schüttelte heftig den Kopf.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Ray sie. »Ich meine, hat sich irgendwas entzündet?«
    Sofort schämte ich mich für meinen vollständigen Mangel an - und sei es noch so rudimentärer - ärztlicher Neugier. Ein Laie sagte, was ich hätte sagen müssen, verhielt sich so, wie ich es auch nach jahrelanger Ausbildung noch nicht verinnerlicht hatte. Also sagte auch ich: »Stimmt etwas nicht, oder wollten Sie mir nur das Ergebnis zeigen.«
    Sie wandte sich von Ray zu mir und flüsterte: »Die eine Brustwarze. Die schaut jetzt irgendwie anders aus.«
    »Haben Sie Ihren Arzt angerufen?«
    »In einer Woche habe ich einen Termin. Bis dahin muss ich halt warten. Es wird schon nichts sein.«
    Ray brach ein Stück Brot ab und tunkte es in ein Schälchen Olivenöl. »Kann doch nicht so lang dauern, Doc, oder?«
     
    Mit der Brustwarze war alles in Ordnung - sie war nur ein wenig derangiert von einem schlecht sitzenden BH. Doch die Szene verschaffte Ray schon frühzeitig den Vorteil, sich als der teilnahmsvolle Zuhörer zu etablieren, der ich offensichtlich nicht war. Soeben trank er etwas, das wie Whisky Sour aussah. Rein rechnerisch wartete die Hälfte der Antipasti auf meine Rückkehr. »Wie sieht’s aus?«, fragte er.
    »Alles bestens. Aber ich möchte gerne erklären, warum ich mich geweigert habe. Es ist nichts mehr so wie früher. Die Versicherung des Krankenhauses gegen Kunstfehler schließt flüchtige Toiletten-Diagnosen nicht mit ein.«
    Er lächelte und sagte: »Sie könnte eine Erklärung unterschreiben, in der steht: ›Hiermit stelle ich meinen Gast an Tisch 11, Dr. Thrift, frei von jeglicher Haftung in Zusammenhang mit medizinischem Rat, den sie mir auf der Damentoilette des Restaurants Il Sambuco erteilt hat.‹«
    »Wenn ich den Eindruck von Gefühllosigkeit -«
    »Ach wo.
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