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Der Doktor Faust (German Edition)

Der Doktor Faust (German Edition)

Titel: Der Doktor Faust (German Edition)
Autoren: Heinrich Heine
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auszusprechen, das ganze Arsenal der redenden Künste zu seiner Verfügung, er gebot über alle Truhen des deutschen Sprachschatzes, der so reich ist an ausgeprägten Denkworten des Tiefsinns und uralten Naturlauten der Gemütswelt, Zaubersprüche, die im Leben längst verhallt, gleichsam als Echo in den Reimen des Goethischen Gedichtes widerklingen und des Lesers Phantasie so wunderbar aufregen! Wie kümmerlich dagegen sind die Mittel, womit ich Ärmster ausgerüstet bin, um das, was ich denke und fühle, zur äußern Erscheinung zu bringen! Ich wirke nur durch ein magres Libretto, worin ich in aller Kürze andeute, wie Tänzer und Tänzerinnen sich gehaben und gebärden sollen und wie ich mir dabei die Musik und die Dekorationen ungefähr denke. Und dennoch habe ich es gewagt einen Doktor Faustus zu dichten in der Form eines Balletts, rivalisierend mit dem großen Wolfgang Goethe, der mir sogar die Jugendfrische des Stoffes vorweggenommen, und zur Bearbeitung desselben sein langes blühendes Götterleben anwenden konnte – während mir, dem bekümmerten Kranken, von Ihnen verehrter Freund, nur ein Termin von vier Wochen gestellt ward, binnen welchen ich Ihnen mein Werk liefern mußte.
    Die Grenzen meiner Darstellungsmittel konnte ich leider nicht überschreiten, aber innerhalb derselben habe ich geleistet, was ein braver Mann zu leisten vermag, und ich habe wenigstens einem Verdienste nachgestrebt, dessen sich Goethe keineswegs rühmen darf: in seinem Faustgedichte nämlich vermissen wir durchgängig das treue Festhalten an der wirklichen Sage, die Ehrfurcht vor ihrem wahrhaftigen Geiste, die Pietät für ihre innere Seele, eine Pietät, die der Skeptiker des achtzehnten Jahrhunderts (und ein solcher blieb Goethe bis an sein seliges Ende) weder empfinden noch begreifen konnte! Er hat sich in dieser Beziehung einer Willkür schuldig gemacht, die auch ästhetisch verdammenswert war und die sich zuletzt an dem Dichter selbst gerächt hat. Ja, die Mängel seines Gedichts entsprangen aus dieser Versündigung, denn, indem er von der frommen Symmetrie abwich, womit die Sage im deutschen Volksbewußtsein lebte, konnte er das Werk nach dem neu ersonnenen ungläubigen Bauriß nie ganz ausführen, es ward nie fertig, wenn man nicht etwa jenen lendenlahmen zweiten Teil des Faustes, welcher vierzig Jahre später erschien, als die Vollendung des ganzen Poems betrachten will. In diesem zweiten Teile befreit Goethe den Nekromanten aus den Krallen des Teufels, er schickt ihn nicht zur Hölle, sondern läßt ihn triumphierend einziehen ins Himmelreich, unter dem Geleite tanzender Englein, katholischer Amoretten, und das schauerliche Teufelsbündnis, das unsern Vätern so viel haarsträubendes Entsetzen einflößte, endigt wie eine frivole Farce – ich hätte fast gesagt wie ein Ballett.
    Mein Ballett enthält das Wesentlichste der alten Sage vom Doktor Faustus, und indem ich ihre Hauptmomente zu einem dramatischen Ganzen verknüpfte, hielt ich mich auch in den Details ganz gewissenhaft an den vorhandenen Traditionen, wie ich sie zunächst vorfand in den Volksbüchern, die bei uns auf den Märkten verkauft werden, und in den Puppenspielen, die ich in meiner Kindheit tragieren sah.
    Die Volksbücher, die ich hier erwähne, sind keineswegs gleichlautend. Die meisten sind willkürlich zusammengestoppelt aus zwei ältern großen Werken über Faust, die, nebst den sogenannten Höllenzwängen, als die Hauptquellen für die Sage zu betrachten sind. Diese Bücher sind in solcher Beziehung zu wichtig, als daß ich Ihnen nicht genauere Auskunft darüber geben müßte. Das älteste dieser Bücher über Faust ist 1587 zu Frankfurt erschienen bei Johann Spies, der es nicht bloß gedruckt, sondern abgefaßt zu haben scheint, obgleich er in einer Zueignung an seine Gönner sagt, daß er das Manuskript von einem Freunde aus Speyer erhalten. Dieses alte Frankfurter Faustbuch ist weit poetischer, weit tiefsinniger und weit symbolischer abgefaßt, als das andere Faustbuch, welches Georg Rudolph Widman geschrieben und 1599 zu Hamburg herausgegeben. Letzteres jedoch gelangte zu größerer Verbreitung, vielleicht weil es mit homiletischen Betrachtungen durchwässert und mit gravitätischen Gelehrsamkeiten gespickt ist. Das bessere Buch ward dadurch verdrängt und versank schier in Vergessenheit. Beiden Büchern liegt die wohlgemeinteste Verwarnung gegen Teufelsbündnisse, ein frommer Zweck, zum Grunde. Die dritte Hauptquelle der Faustsage, die
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