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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3
Autoren: Bastian Sick
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»programmiertes Chaos« völlig genügen würde, denn programmiert wird immer im Voraus. Oder haben Sie schon mal von einem nachprogrammierten Ereignis gehört? Ein weiterer Dauerbrenner unter den Überflusswörtern ist das Verb »aufoktroyieren« – eine Verschmelzung aus dem französischen Lehnwort »oktroyieren« und der deutschen Übersetzung »aufzwingen«.
     
    Meine Nachbarin Frau Jackmann ist eine Meisterin der Sinnverdoppelung. Als ich einzog, klärte sie mich detailliert über alle Mitbewohner des Hauses auf: »Die Lüders aus dem Erdgeschoss haben vier Jungs, richtige Rabauken, vor allem die zwei Zwillinge. Also wundern Sie sich nicht über den Krach!« Ich wunderte mich vor allem über den Hinweis, dass die Lüders zwei Zwillinge haben. Ich hätte mehr erwartet. Frau Jackmann überbot sich gleich darauf selbst, indem sie mir verriet, dass neben den Lüders ein »Zweierpärchen« wohne. Sollte es noch einen Untermieter auf- nehmen, hätte man es dann mit einem »Dreierpärchen« zu tun? Im ersten Stock links wohne Herr Schaller, ein sehr netter Vertreter, von dem sie schon manches Mal ein »Gratis-Geschenk« bekommen habe.
    Und in der Wohnung rechts lebe der »geschiedene Exmann« von Carolin Ölter, der Tochter von Manfred Ölter, der mit Billigmärkten im Osten reich geworden ist. Der sei heute ein »mehrfacher Multimillionär«. Einmal sei sie der Carolin Ölter ja wirklich begegnet. Die sah aber gar nicht aus wie eine Millionärstochter, denn ihr Halsschmuck war ein »künstliches Imitat«, das habe man sofort gesehen.
     
    Als mein Freund Henry mich das erste Mal besuchte und sofort über den Zustand des Treppenhauses zu lamentieren begann, gab Frau Jackmann ihm recht und klagte: »Ich habe dem Hausmeister bereits schon gesagt, dass das Treppenhaus dringend neu renoviert werden muss, aber im augenblicklichen Moment scheinen die Eigentümer angeblich kein Geld dafür zu haben.« Vier Pleonasmen in einem Satz! Das muss ihr erst mal jemand nachmachen. Henry nennt sie seitdem respektvoll »Jackie Pleonassis«. Wer in seiner Gegenwart von »ABM-Maßnahmen« spricht, wird kos-tenlos über die Bedeutung des Buchstabens »M« in »ABM« aufgeklärt. »Spontane Reflexe« lässt Henry genauso wenig gelten wie »natürliche Instinkte«, zumal das die Existenz unspontaner Reflexe und unnatürlicher Instinkte voraussetzen würde, wie Henry sagt. Und wenn der Fernsehkoch zum Tranchiermesser greift und spricht: »So, und nun müssen wir das Ganze einmal schön in der Mitte halbieren«, dann schaltet Henry um.
     
    Bei Frau Jackmann ist das »umgekehrte Gegenteil« der Fall. In pleonastischer Hinsicht ist eine Unterhaltung mit ihr immer lohnend. Frau Jackmann würde sagen: »lohnenswert«. Sie hat zu allem eine »persönliche Meinung«, und ich habe es bislang wohlweislich vermieden, sie nach ihrer unpersönlichen Meinung zu fragen. In politischen Fragen ist sie unerbittlich. Nahezu alle Probleme unserer Zeit, sagt sie,seien die Folge der »weltweiten Globalisierung«. Ja, Frau Jackmann kennt sich aus! »Als der Schröder an die Regierung kam, da haben sich doch alle falsche Illusionen gemacht.« Offenbar macht sie sich lieber richtige Illusionen. Den Ausgang der jüngsten Bundestagswahl kommentierte sie mit den Worten: »Jetzt suchen natürlich alle nach einer gemeinsamen Schnittmenge!« Als die Koalition aus CDU und SPD dann stand, sagte sie achselzuckend: »Na ja, eine andere Alternative gab es in dieser Situation wohl auch nicht!« Womöglich gibt es nie mehr als eine einzige Alternative, wenn überhaupt. Aber darüber will ich mit Frau Jackmann lieber nicht diskutieren. Henry hat da weniger Skrupel. Letzte Woche traf er Frau Jackmann auf der Treppe. »Es gibt Regen«, rief sie ihm zu. »Wie kommen Sie darauf«, fragte Henry erstaunt, »es ist doch kein Wölkchen am Himmel zu sehen!« – »Ich spür das«, sagte sie, »ich hab da so ein inneres Gefühl!« Henry erwiderte, ihr »inneres Gefühl« sei ein Pleonasmus. Seitdem hält sie ihn für einen Arzt. Da sind falsche Missverständnisse natürlich bereits schon im Vorfeld vorprogrammiert.
     
    Pleonasmen
doppelt gemoppelt
einfacher gesagt
angeblich sollen (z. B. sie soll angeblich einen Geliebten haben)
sie soll einen Geliebten haben; sie hat angeblich einen Geliebten
Attentatsversuch
Anschlag, Attentat, Mordversuch
Aufoktroyieren
aufdrängen, aufzwingen, oktroyieren
anfängliche Startschwierigkeiten
anfängliche Schwierigkeiten, Startschwierigkeiten
im
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