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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)
Autoren: Bastian Sick
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zum Königst befördert.
    Apropos König: Schon Ludwig XIV., Frankreichs »L’Etat c’est moi«-Regent, herrschte ja nicht bloß absolut, sondern absolutistisch. Beim Anhängen der Silbe »-istisch« handelt es sich zwar im streng grammatischen Sinne nicht um eine Steigerung, sondern bloß um eine Ableitung, doch für unser Ohr hört es sich nach »mehr« an. In Zeiten von terroristischen Anschlägen durch Glaubenseiferer wird das »-istisch« gern verwendet, um das Böse, Gefährliche, Unberechenbare zu markieren. Manchem Schreiber ist ein -istisch nicht genug, er geht lieber auf Nummer sicher und verdoppelt den Effekt, auch wenn meistens keine sprachliche Notwendigkeit dazu besteht. Denn was ist, abgesehen von ein paar zusätzlichen Silben, der Unterschied zwischen einem fundamental-islamischen Extremisten und einem fundamentalistischen islamistischen Extremisten? Eines ist immerhin erwiesen: Wörter auf »-istisch« lösen Alarm aus, da gehen die Leser instinktiv in Deckung.
    Das tun sie natürlich auch beim Super-GAU, aber nicht beim stinknormalen GAU. Ohne den Super-Vorsatz vermag der »größte anzunehmende Unfall« heute offenbar niemandem mehr Angst einzuflößen. Kein Wunder, denn bei all den Hyper-, Ultra- und Megalativen in der Werbung und im Infotainment ist man gegen steigerungsfreie Ankündigungen »ganz normaler Katastrophen« schon völlig immun.
    Dass sich auch der Super-GAU noch steigern lässt und die Mitte ungefähr dort liegt, wo es am zentralsten ist, führt uns jener Politiker vor Augen, der in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« sagte: »Das wäre der größte Super-GAU in der Arbeitsmarktpolitik, den ich je erlebt habe. Wir liefen Gefahr, eine der zentralsten Reformen vor die Wand laufen zu lassen.«
    Eine Fallgrube, in die immer mal wieder jemand stolpert, ist das aus zwei Teilen, nämlich aus Adjektiv und Partizip, gebildete Attribut. Wie herrlich einfach werden da aus »weit reichenden« Vollmachten erst weitreichendere Vollmachten und schließlich weitreichendste Vollmachten. Die korrekte Steigerung von »weit reichend« lautet indes »weiter reichend«, »weitest reichend«. Unlängst war in der »Tagesschau« zu hören, der Ärmelkanal sei eine der »vielbefahrensten« Seestraßen der Welt, statt »meistbefahrenen«. Selbst das eine oder andere angesehene Internet-Nachrichtenmagazin lässt sich gelegentlich dazu hinreißen, über »tiefgehendere« Reformen zu schreiben. Kein Wunder, dass es mit den Reformen nicht richtig vorangeht, wenn der erste Teil des Attributs übersprungen wird und man sich im zweiten verbeißt. Pferde soll man nicht von hinten aufzäumen und mehrteilige Attribute nicht von hinten steigern!
    Im Wissen um diese Fehlerquelle haben die Väter der viel gescholtenen Rechtschreibreform übrigens beschlossen, dass solche Attribute nicht mehr zusammengeschrieben werden. So wurde »weitreichend« zu »weit reichend«, »schwerverständlich« zu »schwer verständlich« und »gutaussehend« zu »gut aussehend«. Damit man nicht mehr so leicht in Versuchung gerät, den falschen Teil zu steigern. Die Regel lautet: »Ist der erste Bestandteil ein Adjektiv, das gesteigert oder erweitert werden kann, dann schreibt man getrennt.«
    Dies wird andere aber nicht davon abhalten, weiterhin von höchstqualifiziertesten Bewerbern, meistbesuchtesten Veranstaltungen und bestangezogensten Filmstars zu sprechen. So bejubelte ein Plattenkritiker in der »Süddeutschen Zeitung« das neue Album eines Rap-Sängers als »eines der schnellstverkauftesten der Popgeschichte«.
    Hübsch ist in diesem Zusammenhang auch der Kommentar Heiner Geißlers zur Garderobe seiner Parteivorsitzenden Angela Merkel: »Am besten« sei das klassische unauffällige Kostüm, sagte er, »noch besser der Hosenanzug«. Komparativ als Steigerung des Superlativs, das ist nicht unbedingt logisch, in diesem Fall aber immerhin originell.
    Der Erfinder des »brutalstmöglichen« Superlativs überraschte abermals mit einer eigenwilligen Steigerung, die es prompt in den »Hohlspiegel« schaffte: Wer ein Beschäftigungsangebot ablehne, so Roland Koch, müsse mit Sanktionen »bis hin zur vollständigen Streichung« der Sozialhilfe rechnen. »Bei fortgesetzter Weigerung wird die Sozialhilfe noch stärker gekürzt.«
    Auch Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust bereicherte die deutsche Sprache um einen neuen Superlativ: Den Justizsenator Roger Kusch bezeichnete er als einen seiner »langjährigsten« Freunde. Welch ein
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