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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios
Autoren: Wolf Serno
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Verstorbener heraus, trocknet das Gewebe, pulverisiert es und verabfolgt es dem Patienten.«
    Vitus schwieg und erwog die Therapie.
    Burns war noch nicht fertig: »Es heißt auch, dass manch ein Kranker, der nicht mit dem Bubonenpulver behandelt werden konnte, sich selbst die Beulen aufstach und in seiner Verzweiflung den darin befindlichen Eiter trank. So sollen ebenfalls Heilerfolge erzielt worden sein.«
    »Ich habe davon gehört, Doktor. Wir werden sehen, ob dieser Weg in Frage kommt. Wenn ich richtig verstanden habe, bedarf es zur Herstellung des Pulvers eines Verstorbenen, und soviel ich weiß, gibt es im weiten Umkreis gottlob keine Pesttoten. Was nun das Aufstechen der Beulen bei Lady Arlette anbelangt, so denke ich, warten wir erst noch diesen und den nächsten Tag ab, zumal in den Bubonen noch kein Eiter erkennbar ist.« Vitus wollte dem alten Arzt nicht sagen, dass die zweite Methode für ihn grundsätzlich nicht in Frage kam. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Arlette ihren eigenen Eiter trank. Schon deswegen, weil Eiter immer ein Ausdruck des Säfte-Ungleichgewichts war. Wie konnte ein Ungleichgewicht zur Wiederherstellung des Gleichgewichts beitragen!
    Er räusperte sich. »Wenn keine weiteren Vorschläge gemacht werden, Gentlemen, möchte ich Euch zunächst herzlich danken. Ihr werdet dafür Verständnis haben, dass ich mir die letzte Entscheidung über die einzusetzenden Therapien vorbehalte. Ich habe beschlossen, dass niemand, ich wiederhole: niemand, das Krankenzimmer betreten darf. Wenn ich etwas brauche, so werde ich es Euch mitteilen. Die Ansteckungsgefahr ist einfach zu groß.«
    Die Umsitzenden murmelten Zustimmung. Auch der Magister, dem es sichtlich schwer fiel.
    »Ich komme damit zu den Maßnahmen, die dazu dienen sollen, die Leute von Greenvale Castle vor Schaden zu bewahren. Wie Euch bekannt sein dürfte, Gentlemen, wird als Verursacher der Pest verdorbene Luft angenommen. Die Wissenschaftler sind sich darüber keinesfalls einig, aber viele vertreten die Ansicht, miasmatische Luft dringe in die Lungen ein und führe dadurch zur Ansteckung. Eine These, die nicht von der Hand zu weisen ist. Weil nun der Mensch nicht einfach aufhören kann zu atmen, gilt es, die Luft von dem Miasma zu befreien. Ihr, Catfield, sollt deshalb dafür sorgen, dass im Schloss, im Gutsgebäude und auf allen Plätzen davor kräftige Feuer entzündet werden, damit die Flammen das Miasma fressen. Bei den alten Meistern ist zu lesen, Rebholz eigne sich dazu in besonderem Maße, aber da in England kaum solches Holz wächst, denke ich, müssen unsere normalen Kaminscheite genügen. Vielleicht findet sich in der Schlosskapelle auch noch etwas Weihrauch. Ich wünsche, dass die offenen Feuer mindestens die nächsten sieben Tage brennen. Wenn unsere Vorräte nicht ausreichen, lasst Bäume im umliegenden Wald schlagen.«
    »Aye, aye, Mylord.« Durch Vitus’ knappen Ton angeregt, war Catfield automatisch in die Marinesprache gefallen. »Soll ich die Befehle gleich weitergeben?«
    »Nein, wartet. Sorgt ferner dafür, dass die um das Krankenzimmer gelegenen Räume mit Essigwasser abgewaschen werden. Diese Maßnahme wird, wie Ihr wisst, auch auf den Schiffen Ihrer Majestät angewandt. Sie mag der endgültigen Luftreinigung dienen.«
    Burns meldete sich noch einmal in seiner scheuen Art. »Wenn Ihr gestattet, Mylord, wäre da noch ein weiteres Prophylaktikum zu nennen. Es ist das so genannte Haarstrangziehen. Habt Ihr schon einmal davon gehört?«
    »Ja, in der Tat.«
    »Das Haarstrangziehen war vor zweihundertdreißig Jahren, als der Schwarze Tod durch Europa zog, sehr im Schwange. Viele Ärzte schworen seinerzeit auf diese Art der Vorbeugung. Man benötigt dazu eine kräftige Nadel, durch deren Öhr ein Büschel zusammengedrehter Frauenhaare gezogen wird. Sodann tätigt man zwei parallele Hauteinschnitte – wo, darüber gehen die Meinungen auseinander –, sticht anschließend die Nadel unter der Haut zwischen den Einschnitten hindurch und zieht den Strang hinterher.«
    »Ja, ich kenne die Maßnahme. Sie mag nützlich sein oder auch nicht. Ein Beweis fehlt. Natürlich führte man bei denen, die seinerzeit von der Pest verschont blieben, diesen Umstand auf die Behandlung zurück; bei denen aber, die erkrankten, behauptete man, die Prozedur sei falsch zur Anwendung gekommen. Immerhin mag sie der Beruhigung unserer Leute dienen. Ich würde Euch deshalb bitten, Doktor, die Behandlung bei allen, die es wünschen,
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