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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese
Autoren: Friedrich Glauser
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macht, sonst steht es still oder geht zu schnell, aber schön ist es am Steuerrad zu sitzen. Bin viel mit Maschine oder Wagen allein auf die Matten gefahren und große Stüke gekehrt. Wir betreiben auch Gemüsebau. Da weiß man auch was tun. Und noch etwas, hoffentlich werden mir die Hufeisen, die ich unter der Linde ausgegraben habe, ›Glück bringen‹, denn ich habe mir erlaubt, ein paar Lose zu kaufen, will sehen, ob mir das Glück einmal blüt, sonst weiß ich nichts mehr zu schreiben.
    Also auf Wiedersehen, lieber Onkel und Gönner. Mit den herzlichsten Grüßen schließt
    Euer Ludwig.
    Wenn Ihr mich braucht, dann schreibt nur nach Amriswil«
    Drei Seiten waren beschrieben. Auf die vierte und letzte Seite hatte das Bürschlein seine Adresse gemalt:
»Herrn Ludwig Farny,
Knecht,
Amriswil, Kt. Thurgau Switzerland
Europa.«
    Studer saß da in seiner Lieblingsstellung, die Ellbogen auf den gespreizten Schenkeln und hielt den Brief in der Hand… Selbstverständlich: Nicht jeder Mensch konnte wissen, daß Amriswil im Kanton Thurgau lag, im Ausland war es auch eine wenig bekannte Tatsache, daß der Kanton Thurgau zur Schweiz gehörte und – sicher ist sicher – wenn man einen Onkel besaß, der gerne viel reiste, so empfahl es sich, anzugeben, daß Switzerland zu Europa gehörte. Das kleine Lächeln, das des Wachtmeisters Mundwinkel auseinanderzog, konnte das Knechtlein nicht sehen. Aber von diesem Briefe wehte den Wachtmeister eine Ehrlichkeit, eine Redlichkeit an, die wohltat. Wenn ihn sein Gefühl nicht trog, so durfte Studer den Ludwig Farny, Knecht in Amriswil, als Mörder ausschalten. Übrigens, man konnte ja die Probe aufs Exempel machen…
    »Ludwig!« rief Studer. Und als der Bursche näher kam, hielt er ihm den Brief unter die Nase. »Hast du das geschrieben?« Das Knechtlein hatte eine merkwürdige Art zu erröten. Zuerst stieg eine Blutwelle seinen Hals hinauf, überflutete Kinn, Backen und Schläfen. Endlich erreichte die Röte auch die Stirne – und nun sah das Gesicht aus wie eines jener sonderbar geformten Schalentiere, die im Meere wimmeln und eine purpurne Farbe annehmen, sobald man sie ins heiße Wasser wirft…
    »Ja… ich hab ihm geschrieben… ist etwas dabei?«
    »Nein… wo denkst du hin… aber, hat dir dein Onkel geantwortet auf diesen Brief?«
    »Deich wou!«
    »Zeig mir den Brief!«
    Sie hatten alle die gleiche Gewohnheit, die Knechtlein, die wenig Geld besaßen… Sie trugen die Brieftasche nicht, wie andere elegante Herren, in der Busentasche des Kittels, sondern im Futter des Gilets, ganz innen über dem Herzen. Darum dauerte es auch einige Zeit, bis Ludwig Farny seine verschiedenen Kleidungsstücke aufgeknöpft hatte – nun kam die abgegriffene Brieftasche zum Vorschein, die wohl in einem Handel erstanden worden war. – Aus einem ihrer Fächer zog Ludwig die Antwort des Onkels:
Pfründisberg, den 15. November.
    Mein lieber Ludwig!
    Ich komme erste heute dazu, Deinen Brief zu beantworten. Es wäre gut, wenn Du sogleich Deine Stelle in Amriswil aufgeben und zu mir kommen würdest. Ich brauche Dich. Warum – erkläre ich Dir hier. Ich denke, Du wirst genug Reisegeld haben. Ich erwarte Dich also spätestens am 18. – Du wirst dann bei mir wohnen. Soviel ich gemerkt habe, trachtet man mir nach dem Leben. Zu Dir habe ich Vertrauen.
    Mit herzlichen Grüßen
    Dein Onkel James.
    »Hm!« machte Studer und legte die Briefe nebeneinander auf den Tisch. »Am 16. hat dein Onkel geschrieben. Wann hast Du den Brief bekommen?«
    »Der Meister hat ihn mir erst am 17. gegeben, beim z'Mittag. Ich hab' ein paar Sachen mitgenommen und bin losgezogen. Am 17. abends war ich in Bern. Dort habe ich einen Freund. Der hat mir sein Velo gelehnt, und ich bin in der Nacht noch weitergefahren, aber es war doch schon 3 Uhr morgens, als ich in Pfründisberg ankam. Auf der Straße ist mir einer begegnet – wie der Teufel ist er gefahren auf seinem Töff. Einen Augenblick hab' ich gemeint, daß ich ihn kenne, aber dann war's doch nicht der, den ich gemeint habe. 's Huldi hat mir dann aufgemacht, weil ich Steine an ihr Fenster geworfen hab' und dann konnte ich in ihrem Zimmer schlafen. – In allen Ehren…«
    »Versteht sich, versteht sich – in allen Ehren!«
    »Jetzt meint's Huldi natürlich, ich hätt' den Onkel umgebracht – wahrscheinlich, weil ich angekommen bin, gleich, nachdem es den Schuß gehört hat. Ich bin froh, Herr Studer, daß ich mit Euch hab' reden können.«
    »Reden können! Reden
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