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Der Chefarzt

Titel: Der Chefarzt
Autoren: Argirov Valentin
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das Geld.«
    Die Nachtschwester verfolgte noch eine Weile diesen Gedanken und fügte dann hinzu, wobei sie Bertram meinte: »Der ist gut. Der kann so bleiben.« Aber Leopoldine hörte sie nicht. Mit dem Tablett beladen verschwand sie mit ihrem für die stramme rundliche Figur etwas zu schwungvollen Gang um die Ecke des langen, matt beleuchteten Flurs. Erst im Vorzimmer schien der weiche, flauschige Teppichboden ihr etwas von ihrem Schwung zu nehmen. Sie klopfte an Bertrams Tür, während sie in Gedanken noch bei seiner Frau war: ›Wenn ich sie wäre, würde ich die Augen offenhalten.‹
    Um zehn vor zehn nahm Leopoldine Stein ein Ferngespräch entgegen.
    »Hier ist Büro Hessel in Bonn«, sagte eine forsche Frauenstimme. »Herr Hessel wünscht Herrn Professor zu sprechen.«
    Unschlüssig sah Leopoldine auf die Uhr. Was tat er noch in seinem Zimmer? Das letzte Mal, als sie bei ihm war, studierte er die Personalakte Dr. Fritsch. ›Ein hübscher Junge.‹
    »Beeilung!« empörte sich die Frauenstimme. »Was ist los?«
    Über die Sprechanlage fragte Leopoldine: »Sind Sie fürs Büro Hessel zu sprechen, Herr Professor?«
    Lothar Hessel war der stellvertretende Vorsitzende der Regierungspartei.
    »Stellen Sie durch«, sagte Bertram. Er hob den Hörer ab, und fast gleichzeitig dröhnte Hessels Stimme in seinem Ohr: »Bist du allein, Hannes?«
    »Ja.« Bertram hielt den Hörer etwas weg. »Ist etwas passiert?«
    »Du kennst Bruno Meier?«
    »Es gibt zwei …«
    »Ich spreche von dem Bundestagsabgeordneten.«
    »Ich kenn' ihn flüchtig.«
    »Meine Frage an dich: Auf welche Weise kann man einen Gemütskranken in die Nervenheilanstalt bringen!«
    »Du meinst, in eine geschlossene Abteilung?«
    »Ja.«
    »Gegen seinen Willen?«
    »Ja.«
    »Seit wann ist Meier gemütskrank? Das ist mir neu. Wer behandelt ihn?«
    »Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
    »Nach dem Gesetz kann seine Frau bei der zuständigen Staatsanwaltschaft eine vorübergehende Entmündigung beantragen. Wenn dem stattgegeben wird, kann die Polizei ihn in eine geschlossene Abteilung bringen. Später kommt die Sache vors Vormundschaftsgericht.«
    »Für diesen Antrag ist ein ärztliches Zeugnis notwendig, nehme ich an.«
    »Es ist eine Voraussetzung. Worauf willst du hinaus?«
    »Der Mann ist verrückt, er ist nicht geschäftsfähig. Aus völlig unerklärlichen Gründen ist er auf die schiefe Bahn geraten. Es hat sich herausgestellt, daß er seit Jahren ein Doppelleben führt. Schmiergelder, Frauengeschichten und ähnliches, dabei ist der Kerl Mitglied in etlichen parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, ein schöner Saubermann …«
    »Was sagt sein Psychiater dazu?«
    »Es gibt keinen Psychiater. Der geht doch nicht zum Arzt.«
    »Weiß seine Frau schon davon?«
    »Wir haben mit ihr gesprochen. Sie hat gezögert, aber jetzt will sie die Entmündigung beantragen. Der Mann ist untragbar!«
    »Und wenn er nicht krank ist? Habt ihr daran gedacht?« Bertram wirkte kühl. »Diese Möglichkeit ist durchaus vorhanden.«
    »Diese Entscheidung bleibt dir überlassen … Wir wollen jetzt nicht über Gewissensfragen sprechen. Woran mir liegt, ist Diskretion.«
    »Ich werde sehen, was ich tun kann.« In Bertrams Stimme war eine Bitternis, die Hessel nicht verstand. Der Ärger mit Hessel war, er erwartete von einem immer das Richtige. Was richtig war, bestimmte allerdings er.
    Im Vorzimmer bekam Schwester Leopoldine Stein den Auftrag, den Chef mit Frau Meier zu verbinden.
    Eine Woche darauf erschien in den Zeitungen eine sachliche Notiz über Meiers bedauerliche Erkrankung. Mit einer Erklärung distanzierte sich die Bundesgeschäftsführung der Partei vom Abgeordneten Meier.

Geburt eines Traumes
1
    Auf der Treppe zur chirurgischen Unfallambulanz steht Schwester Rosemarie Schwarz und verfolgt, wie Gräfin Kerckhoff in einem Rollstuhl spazierengefahren wird. Sie denkt an die Schmuckkassette der Gräfin in ihrem Krankenzimmer. Dabei breitet sich auf Rosemaries schmalem, spitzem Gesicht ein Ausdruck unbewußter besitzergreifender Gier aus. Sie ist ein junges Mädchen, an dem nichts Auffallendes ist, ausgenommen ihre schwere schwarze, unter der Schwesternhaube etwas in Unordnung geratene Haarpracht. ›Eine nutzlose alte Frau‹, denkt Rosemarie, ›die dem Tod zürnt.‹
    »Viele Mannsperson«, sagt der Inder Schi, als er die Bahre in den stickigen Vorraum der Unfallambulanz fährt. Es ist Mittwochabend. Er schiebt sie zwischen ein achtjähriges Mädchen mit einem
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