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Der Chefarzt

Titel: Der Chefarzt
Autoren: Argirov Valentin
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hast dir und den anderen vieles vorgemacht, mir auch. Im Grunde warst du nie echt.«
    Am Sonntag kam Erwin zu Besuch.
    Zu ihrem Erstaunen merkte Lisa, daß sie sich freute, ihn wiederzusehen.
    »Morgen werde ich entlassen«, sagte sie und ignorierte den Blick ihrer Bettnachbarin.
    »Ich bin mächtig froh.« Erwin grinste und seine Erleichterung war ihm anzusehen.
    »Und … deine Bekannte?« Lisa brachte es nicht über sich, ›Freundin‹ zu sagen.
    »Es ist Schluß mit ihr.«
    »Aber du hast nicht gewußt, daß ich es weiß?«
    »Nein«, log er. Lisas Schwester hatte es ihm erzählt.
    Es gab noch etwas Wichtigeres, was sie beunruhigte: »Das Kind …«
    »Es ist von ihrem Mann. Sie ist geschieden.« Mit einem Schulbubengesicht bat er sie um Verzeihung.
    Dann, unfähig, die große Neuigkeit zurückzuhalten, erzählte er vom Geschäft. Er sollte befördert werden.
    Als er ging, küßte sie ihn auf die Wange. »Alsdann.«

7
    Zwei Wochen nach ihrer Abreise kam Malvina zurück. Er saß in der Bibliothek und kämpfte mit der Angst, sich dem Trunk zu ergeben, als sie eintraf.
    »Wo hast du die ganze Zeit gesteckt«, schrie er sie an und spürte eine unendliche Erleichterung in sich aufsteigen. »Warum hast du von dir nichts hören lassen?!«
    »Willst du mir nicht zuerst guten Abend sagen. Willkommen wäre zuviel des Guten.«
    »Was erwartest du von mir? Du glaubst wohl, mir geht nichts nahe. Was meinst du, was ich tue, seit du weg bist? Ich besaufe mich und versuche mich am nächsten Tag wieder auf die Beine zu stellen.«
    »Du hast dir meinetwegen Sorgen gemacht?« Die Blässe war ihr anzumerken.
    »Wo warst du?«
    »In Alaska.«
    »Was zum Teufel …«
    »Seit wann fluchst du?«
    »Warum du ausgerechnet nach Alaska …«
    »Ein Zufall. Es fiel mir plötzlich ein, es war mein Kindheitstraum. Ich hatte zuviel Jack London gelesen. Vielleicht auch deswegen, weil ich nicht immer dieselben Gesichter sehen wollte und mich nicht in irgendeiner Hotelbar auf den Bahamas von guten Bekannten belästigen lassen wollte.«
    Die Ungezwungenheit, mit der sie an diesem Abend ein Gespräch versuchten – ganz die Eheleute, die nach getrenntem Urlaub sich gegenseitig ihre belanglosen Erlebnisse erzählen –, war bald zu Ende.
    Nach Malvinas Rückkehr sahen sie sich unvermittelt in der Lage, ohne Hemmungen über sich und ihr Leben zu reden, als ob die Zeit der Prüfung sie von der üblichen Heuchelei der Eheleute befreit hätte.
    »Ich habe ein Leben lang zuviel Rücksicht auf dich genommen«, sagte Malvina, »ich wüßte gerne, wieviel davon noch Liebe ist.«
    Sie pflegte solche Dinge ohne Affektiertheit zu sagen, undramatisch, wie sie auch sagte: »Zwei nette Menschen sind nicht zwangsläufig ein nettes Paar.«
    Er, mit seiner Angst vor hochtrabenden Worten, war von der Schlichtheit dieser Aussage beeindruckt und erschrak. Er war an die Selbstverständlichkeit ihrer Liebe gewöhnt.
    »Unser gemeinsames Leben habe ich einseitig zu deiner Bequemlichkeit gestaltet«, sagte sie. »Die Frage ist, warum ich mich dabei so glücklich fühlte.«
    Bertrams kamen zu einem erstaunlichen Ergebnis. Sie lernten das Leben, das sie führten, erst jetzt richtig kennen. Und weil der Zorn eine flinke Zunge besaß, sahen sie sich ungeschminkt durch die Augen des anderen. Mit Überraschung hörten sie, wie er sie oder sie ihn in einer bestimmten Situation gesehen hatte – es war nicht die Beichte ihres Lebens, vielmehr der Zustand des ewigen Mißverstandenseins im heiligen Stand der Ehe.

8
    Am Montag früh ließ sich Bertram in die Klinik fahren. Seine ungewöhnliche Stimmung fiel dem Chauffeur auf, im Rückspiegel sah er, wie der Professor einige Male seine Lippen bewegte, als würde er Selbstgespräche führen. An diesem Morgen war Bertram mit einem nahezu vergessenen Gefühl der Leichtigkeit und Zufriedenheit aufgewacht; nach dem Aufstehen behielt er die Wärme der noch schlafenden Malvina in sich.
    Der Gedanke, mit dem er aufgewacht war, erschien ihm auf einmal nicht mehr befremdend. Karen hatte Malvina und ihn auf eine merkwürdige Weise nähergebracht. Er hatte Malvina unrecht getan.
    Er war keine Ausnahme. Wie jeder trug er seine Schuld mit sich, und der Versuch, sie auch bei dem anderen zu finden, entlastete ihn nicht. Die Schuld war wie das Leben, mißlich und notwendig. Aus Gefühlen entstanden, förderte sie neue Gefühle – sie war unentbehrlich wie die Sühne.
    Das Auto bog in das Universitätsgelände ein und blieb vor der internen
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