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Der Chefarzt

Titel: Der Chefarzt
Autoren: Argirov Valentin
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viel weniger zurecht als mit dem autoritären, der nach Unzulänglichkeiten suchte und in der Lage war, die berufliche Laufbahn eines Menschen zu vernichten.
    Fritschs Plan ging auf. Ohne Zwischenfragen war er bei seinem letzten Fall angelangt, und Bertram, von einem seiner Oberärzte leise angesprochen, schien seinen Ausführungen nicht zuzuhören. Bertrams Gesicht war nicht schön, aber kraftvoll. Überraschend seine Hände, schmal und feingliedrig. Um sein Handgelenk trug er, im Gegensatz zu seiner sportlichen Erscheinung, eine elegante goldene Armbanduhr. Gerüchten zufolge verdankte Bertram seinen Posten seiner Frau, einer geborenen Auerbach und Tochter seines Vorgängers. Andere Sprachen von Bertrams politischen Beziehungen, bekanntlich stand er der Spitze einer Partei sehr nahe. Seine Feinde gaben zu, daß er ein überragender Kliniker und ein schlechter Organisator war. Sein autoritärer Führungsstil gehörte einer Vergangenheit an, die an den Universitäten noch nicht überwunden war.
    Fritsch wollte sich gerade hinsetzen, als Bertram – er hatte eine leise Stimme, die die anderen zwang, aufmerksam zuzuhören – fragte: »Ist der Oberbauchtumor, von dem Sie sprachen, atemverschieblich?«
    »Nein«, log Fritsch auf gut Glück und nahm sich vor, Lisa Schönhage nochmals daraufhin zu untersuchen.

6
    Sosehr Lisa nach einer schlaflosen Nacht auf ein wenig Besserung gehofft hatte – es ging ihr schlechter als zuvor. Der Tag fing nicht gerade erheiternd an. Zunächst verweigerte man ihr den Frühstückskaffee, und sie mußte sich im Untersuchungszimmer der Station auf eine Couch mit durchgesessenen Federn legen, wo ihr ein bärtiger Medizinalassistent den Arm mit einem Gummischlauch abschnürte und Blut abzapfte. Dieses Untersuchungszimmer war ein düsteres Kämmerchen, in dem ein Glastisch auf Rädern, vollgepackt mit Röhrchen, und die Couch, auf der Lisa lag, gerade Platz hatten. Die Mehrzahl der Röhrchen, wie Soldaten in Plastikständern aufgereiht, war bereits mit Blut gefüllt, das Werk des bärtigen Medizinalassistenten. Ein Schild über der Couch verkündete: »Bitte die Wand nicht mit Blut bespritzen.«
    Lisas abgeschnürter Arm verfärbte sich bläulich, aus der Kanüle in ihrer Vene lief dunkles Blut in das Röhrchen, das der Medizinalassistent hielt.
    Von der Teilnahmslosigkeit der letzten Tage übermannt, ließ es Lisa mit sich geschehen. Die unbeantworteten Fragen der durchwachten Nacht berührten sie sonderbarerweise nicht mehr. Als handele es sich um eine zwar bekannte, ihr aber fremde Person, dachte Lisa emotionslos: ›Du glaubst, du bist was Besonderes, weil du deinen Mann verloren hast, dabei hast du gar kein richtiges Leben mit ihm gehabt. Nur wer von seiner Aufregung erfüllt ist, kostet sein Leben völlig aus!‹
    Sie fragte sich: ›Vor wem bist du geflüchtet? Doch nicht vor Erwin? Wovor fürchtest du dich? Daß du krank bist? Vielleicht ist – wer weiß – dein Leben bald zu Ende.‹ Was Lisa an diesem Morgen als leidenschaftliche Kaffeetrinkerin am meisten vermißte, war eine Tasse Kaffee. Die Hoffnung, daß sie mit der Blutentnahme ihr Programm absolviert hatte und endlich zu ihrem Frühstück kommen würde, erwies sich als trügerisch. Gegen Mittag lag sie immer noch mit nacktem Bauch und Rücken auf einem eiskalten Röntgentisch. Man spritzte ihr ein Kontrastmittel in die Vene und schoß mehrere Bilder hintereinander. Dann verschwand die MTA mit den Röntgenkassetten und nach ihr der Arzt. Lisa lag auf der harten Tischplatte und glaubte, man hätte sie vergessen. Sie wandte ihren Kopf und sah durch die Fensterscheibe welkes Laub und Gestrüpp.
    Endlich kam der Arzt wieder und schoß noch eine Unzahl neuer Bilder. Er sprach vom rechten oberen Nierenpol und gebrauchte den Ausdruck ›unklare Verhältnisse‹. Dann war man fertig und schickte sie zurück ins Zimmer, wo das Mittagessen inzwischen ausgeteilt war.
    Gerade als sie am Tisch vor einem Teller Tomatensuppe saß, kam eine Schwester mit einem Katheter und forderte sie auf, sich aufs Bett zu legen. Als Lisa ihren Befehl befolgt hatte, mußte sie die Beine grätschen, und die Schwester führte den Katheter in die Harnblase. Das andere Ende befand sich in einer sterilen Flasche, die sich schnell mit Urin füllte.
    An diesem Tag mußte Lisa noch zum EKG gehen und dann zu einer frauenärztlichen Untersuchung, wo ihr der Arzt mit groben, dicken Fingern weh tat. Als sie zurück ins Zimmer kam, war es kurz vor sechs und Zeit
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