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Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit

Titel: Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit
Autoren: James Barclay
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zogen sich Wolken zusammen, und der schöne Tag ging allmählich in die Abenddämmerung über. Er kratzte sich am Kinn und betrachtete die Pferde. Der Schweiß lief ihnen in Strömen über die Flanken, unter den Ledergurten bildete sich Schaum. Ihre Köpfe nickten, als er sie antrieb, sie hatten die Augen weit aufgerissen und die Ohren flach angelegt.
    »Gut gemacht«, lobte er sie. Sie hatten ihm die Zeit verschafft, die er brauchte.
    Wieder sah er sich um. Die Verfolger waren schon bis auf hundert Schritt herangekommen. Ein dumpfer Knall verriet ihm, dass der erste Pfeil den Wagen getroffen hatte. Er atmete tief durch. Jetzt oder nie.
    Er bückte sich, ließ die Zügel fallen und sprang auf den Rücken des rechten Pferds. Unter den Händen und durch seine Beine spürte er die Hitze des Tiers, und er hörte das angestrengte Schnaufen.
    »Ruhig«, sagte er. »Ganz ruhig.«
    Er klopfte dem Pferd auf den Hals und zog seinen Dolch. Die Klinge war gut geschärft, und mit einem schnellen Schnitt durchtrennte er die langen Zügel. Ein zweiter Schnitt, und der Ledergurt, mit dem das Pferd an die Deichsel gebunden war, fiel herunter. Er trat dem Tier die Hacken in die Flanke und ließ es nach rechts abschwenken, fort von der Kutsche, die, jetzt nur noch von einem Pferd gezogen, deutlich langsamer wurde und nach links abbog. Er betete, dass sie nicht umkippte.

    Er nahm die Reitzügel, die vorn im Zaumzeug festgesteckt waren, kämpfte kurz um die Kontrolle über das Tier und beugte sich dicht über seinen Hals. Jetzt kam es nur noch darauf an, sich möglichst schnell von der Kutsche zu entfernen. Als er die Rufe hinter sich hörte, zügelte er das Pferd und drehte sich um.
    Die Feinde hatten die Kutsche eingeholt und die Türen geöffnet. Die Reiter umkreisten sie, stießen wütende Rufe aus und gaben sich gegenseitig die Schuld. Er wusste, dass sie ihn sehen konnten, doch er war ihnen gleichgültig. Sie würden ihn nicht weiter verfolgen. Wichtig war nur, dass er sie von ihrer Beute weggelockt hatte. Sie hatten einen halben Tag lang eine leere Kutsche verfolgt. Nun konnten sie nicht mehr finden, was sie suchten.
    Doch er durfte sich nicht zu früh freuen. Die sechs hier waren Stümper, die man leicht hereinlegen konnte. Es gab weitaus klügere Feinde, die ebenfalls auf der Jagd und nicht so leicht zu täuschen waren wie diese hier.
     
    Erienne beobachtete ihre Tochter, die unruhig in ihrem Schoß schlief, und fragte sich, ob sie nicht doch einen schrecklichen Fehler gemacht hatte. Der erste Tag im Dornenwald war recht angenehm verlaufen. Lyanna war guter Dinge gewesen, und sie hatten auf dem Weg nach Süden Wanderlieder gesungen. Der vom Sonnenlicht gesprenkelte Wald hatte sauber und frisch gerochen, hier schien keine Gefahr zu drohen. Die erste Nacht war für Lyanna ein kleines Abenteuer gewesen, denn sie hatte zum ersten Mal, unter den Mantel ihrer Mutter gekuschelt und von Wachsprüchen beschützt, im Freien übernachtet. Während Lyanna schlief, hatte Erienne sich aufs Mana-Spektrum eingestimmt und im Chaos nach Anzeichen geforscht, ob irgendetwas nicht in Ordnung war.

    Nicht, dass Erienne fürchten musste, sie könnten in dieser Nacht wirklich in Gefahr sein. Sie baute darauf, dass die Gilde wusste, was sie tat, und auf sie Acht geben würde. Es gab zwar Wölfe im Dornenwald, sie fanden jedoch keinen Geschmack an Menschenfleisch. Außerdem verfügte sie als dordovanische Magierin über erheblich bessere Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen, als viele andere Menschen.
    Am zweiten Tag hatte sich die Stimmung allerdings geändert. Sie waren tiefer in den Wald eingedrungen, das Blätterdach war dichter geworden, und sie waren die meiste Zeit im Schatten gewandert. Nur wenn die Sonne einmal durchkam und den Boden vor ihren Füßen erreichte, besserte sich ihre Stimmung. Sie hatten nicht mehr so oft gesungen und geplaudert, und nach einer Weile liefen sie ganz und gar schweigend. Erienne bemühte sich, ihrer zunehmend eingeschüchterten Tochter etwas zu erzählen oder interessante Dinge zu finden, auf die sie hinweisen konnte, doch was sie sagte, stieß auf taube Ohren, oder sie verkniff sich die Bemerkungen gleich ganz, wenn sie Lyannas ängstliches Gesicht sah.
    In Wahrheit ging es ihr ja selbst nicht besser. Sie begriff  – oder sie glaubte jedenfalls zu begreifen –, warum sie allein gehen mussten. Doch ihr Vertrauen in die Gilde schwand zusehends. Sie hatte damit gerechnet, irgendeine Art von Kontakt zu haben,
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