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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter
Autoren: Hans G. Stelling
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abholen sollte. Sie war ihm noch nicht begegnet, war sich jedoch darüber klar, dass ihr Vater die Absicht verfolgte, sie mit ihm zu vermählen. Sie wusste, dass sie sich fügen musste, falls ihr Vater und Ratsherr von Cronen sich einig wurden und beschlossen, dass sie ihn ehelichen sollte. Der Gedanke, sich zu wehren oder sich gar zu verweigern, war ihr nur flüchtig gekommen. Sie hatte kein Recht zu einer solchen Haltung. Was das Familienoberhaupt beschloss, das war Gesetz. Ihre eigenen Vorstellungen und Wünsche spielten keine Rolle. Mit ihren Freundinnen träumte sie hin und wieder von der Liebe zu einem Mann, niemals aber war ihr in den Sinn gekommen, eigenen Wegen zu folgen und auf die Stimme des Herzens zu hören.
    Je näher die Kogge der Anlegestelle kam, desto heftiger schlug ihr Herz. Als das Schiff an einer anderen Kogge vorbeiglitt, machte Greetje eine prächtige Sänfte aus, die vier Männer dort abgestellt hatten. Sie demonstrierte allzu deutlich, dass Christoph von Cronen aus reichem Haus stammte, dass er somit die »gute Partie« war, um die sie ihre Freundinnen beneideten, die allesamt seit Jahren schon verheiratet waren und sie bedrängten, nun endlich auch den Bund der Ehe einzugehen. Immerhin sei sie schon neunzehn Jahre alt und laufe Gefahr, bald überhaupt keinen Ehemann mehr zu finden.
    |21| Ihr Vater hatte Christoph von Cronen beschrieben, hatte ihn einen gut aussehenden Mann genannt, dessen einziger Nachteil war, dass ihm vor Jahren einer schweren Verletzung wegen der Fuß amputiert werden musste. So war er gezwungen, einen hölzernen Stumpf zu tragen, der ihm den Fuß ersetzte.
    »Das sind Äußerlichkeiten, die keine Rolle spielen«, hatte ihr Vater gesagt. »Auf den Geist und die Umgangsformen eines Mannes kommt es an. Und in dieser Hinsicht ist Christoph ohne jeden Tadel.«
    Sie konnte nicht umhin, ihm recht zu geben. Mit seiner Behinderung konnte sie sich abfinden, nicht jedoch mit einem garstigen Benehmen oder einem dümmlichen und anspruchslosen Geist.
    Ihr Blick löste sich von der Sänfte und glitt zu einem Stapel von Stoffballen hinüber, hinter dem ein junger, auffallend gut gekleideter Mann stand, der ein Spitzentuch in der Hand hielt. Damit tupfte er sich alle Augenblicke Mund und Nase ab, wobei er vergnüglich mit einer drallen jungen Frau schäkerte und ihr hin unter wieder einen Klaps aufs Hinterteil versetzte, worauf sie sich mit einem spitzen Schrei entzog. Die Frau empfand die ungehörige Berührung nicht als Beleidigung, denn sie machte keinerlei Anstalten, sich zu entfernen, sondern drängte sich im Gegenteil fordernd gegen ihn. Als er sich zu ihr hinneigte, um sie zu küssen, erschien ein weißhaariger Mann neben ihnen und unterbrach sie. Lachend trennten sie sich. Die Frau bekam noch einen Klaps und eilte fröhlich winkend davon.
    Als die beiden Männer hinter dem Stapel hervorkamen, fiel Greetje auf, dass der Jüngere leicht hinkte. Er zog den rechten Fuß etwas nach, der unter dem langen Hosenbein vollkommen verborgen war. Ihr war, als würde sie von einer kühlen Hand im Rücken berührt. Ein unangenehmes Gefühl der Kälte überkam sie.
    |22| Der junge Mann war Christoph von Cronen, jener Mann, den sie ehelichen sollte. Er wusste sich offensichtlich prächtig zu amüsieren und nahm keinerlei Rücksicht darauf, dass sie ihn von der einlaufenden Kogge aus beobachten konnte. Aus seinem Verhalten konnte sie nur schließen, dass sie ihm vollkommen gleichgültig war und dass ihn nicht im Mindesten interessierte, was sie dachte und empfand.
    Sie zog sich einige Schritte bis an das Achterkastell zurück und blieb hinter einer offenen Tür stehen, so dass er sie nicht sehen konnte. Von hier aus verfolgte sie, wie die Kogge anlegte und die Matrosen dicke Bohlen über die Reling zum Ufer schoben. Schließlich stellte einer der Männer, ein bärtiger Riese, der über ungeheure Kräfte zu verfügen schien, einen Tritt, der aus drei Stufen bestand, an die Reling. Der Kapitän kam auf Greetje zu.
    »Ihr könnt das Schiff jetzt verlassen«, sagte er, wobei er sich verlegen und ungeschickt verneigte. Er war ein einfacher Mann, der offenbar noch nie zuvor eine Frau an Bord gehabt hatte.
    Aus dem Dunkel der Kabine unter dem Achterkastell tauchte Ava auf, eine schon in die Jahre gekommene Zofe, die während der Reise nach Hamburg über Greetje wachte. Sie hatte ein kleines faltiges Gesicht, in dem alle in ihrem Leben erlittenen Enttäuschungen ihre Spuren hinterlassen hatten, und einen
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