Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter
Autoren: Hans G. Stelling
Vom Netzwerk:
über die Dämme der Störwiesen transportiert worden. Der Regen und die Frühlingsfluten hatten die Dämme aufgeweicht, so dass |28| die schwer beladenen Rösser erhebliche Schäden angerichtet hatten. Dagegen hatte Hinrik sich gewehrt und verlangt, dass die Knechte des Grafen die Schutzwälle wieder in Ordnung brachten. Das war nicht geschehen. Gerhard Pflupfennig hatte nicht mit sich reden lassen. Er dachte nicht daran, seine Leibeigenen für Arbeiten einzusetzen, die nicht unmittelbar ihm selber zugutekamen.
    »Ich habe Verträge schon mit Eurem Vater abgeschlossen«, sagte er und hielt ihm ein vergilbtes Papier unter die Nase, das mit einem ungelenk geformten Kreuz unterzeichnet war. »Was kann ich dafür, dass er, ein hochangesehener Ritter, nicht lesen und schreiben konnte? Hier steht, dass ich jederzeit das Recht habe, das Land zu überqueren.«
    »Nicht, wenn die Wiesen überflutet sind«, begehrte Hinrik auf. »Die Dämme brechen, und das abfließende Wasser reißt den wertvollen Mutterboden mit. Nachbarn sollten Rücksicht aufeinander nehmen.«
    »Das ist genau, was ich von Euch erwarte, Hinrik vom Diek«, antwortete der Graf, verzog missbilligend das Gesicht, drehte sich um und verschwand schlurfend und tief über seinen Gehstock gebeugt in seinem großzügig angelegten Wohnhaus. Zwei oder drei Familien hätten mühelos darin wohnen können, und Platz für Gäste wäre dann immer noch geblieben. Doch nur der Graf, seine Frau, sein Sohn Waldemar und seine Tochter Magdalena lebten dort. Das Haus war aus Stein gebaut, hatte ein wuchtiges Fundament und Pergament vor den Fenstern, das von weither gebracht worden war.
    Die äußeren Zeichen der Macht wurden der Wirklichkeit nicht ganz gerecht. Es war erst wenige Jahrzehnte her, dass die Pest in den Städten und auf dem Land die Bevölkerung hinweggerafft hatte. Beinahe jeder Dritte war der Krankheit zum Opfer gefallen. Als Folge der Seuche |29| war es für die Fürsten, Grafen und Edelleute viel schwieriger geworden, einen landwirtschaftlichen Betrieb zu führen, denn Knechte und Mägde fehlten allerorten. Außerdem ließen sich die Bauern nicht mehr so ohne weiteres ausbeuten. Immer häufiger begehrten sie auf und widersetzten sich ihren Pachtherren.
    Hinrik vernahm Hufschlag. Vorsichtig zog er sich ein paar Schritte weiter in den Wald zurück und suchte hinter einem Baum Schutz. In diesem Moment riss der Himmel auf, und das Mondlicht fing einen Ritter auf seinem Pferd ein. Ungewöhnlich war der bronzene Schimmer seiner Rüstung, der ihn von anderen Rittern unterschied und diesen Kämpfer eindeutig aus ihren Reihen hervorhob. Obwohl das herabgelassene Visier das Gesicht des Reiters verbarg, wusste Hinrik augenblicklich, mit wem er es zu tun hatte. Es gab nur einen Ritter mit einer solchen Rüstung.
    Auf dem Pferd saß ein gefährlicher und heimtückischer Feind.
    Nicht weit von Hinrik entfernt zügelte der Reiter sein Pferd, um sich dann langsam im Sattel zu drehen und durch die Schlitze seines Helms in alle Richtungen zu spähen.
    Lautlos glitt Hinrik in den Schatten hinter dem Baum. Nun konnte er den geheimnisvollen Ritter in Bronze nicht mehr sehen, aber er hörte das Schnauben seines Pferdes und das leise Schaben der Metallteile. Minuten verstrichen, ohne dass etwas geschah. Der Ritter regte sich ebenso wenig wie er. Dann endlich klirrte Metall, das Pferd schnaubte und der dumpfe Hufschlag entfernte sich.
    Erleichtert klammerte Hinrik sich an den Baumstamm. Er zitterte nicht nur vor Kälte und Schwäche, sondern auch, weil er von ohnmächtigem Zorn erfüllt war. Rachegelüste |30| bemächtigten sich seiner, und er war kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. Am liebsten hätte er sich auf den bronzenen Ritter gestürzt, ihn vom Pferd gerissen und für das bestraft, was er getan hatte.
    Doch er verharrte, bis der Bronzene sich entfernte und die Gefahr vorüber war. Er verfluchte alles, was ihm in dieser Nacht widerfahren war und ihn hilflos gemacht hatte. In seinem Zustand, in dem er noch nicht einmal einen Finger krümmen konnte, ohne Schmerzen zu empfinden, hätte er keinerlei Chance gegen den Bronzenen gehabt. Zwölf Jahre war es jetzt her, dass dieser geheimnisvolle Ritter in sein Leben getreten war. Zwölf lange Jahre, in denen er allzu oft an ihn gedacht und immer wieder Rache geschworen hatte.
    Nun war Hinrik nur wenige Schritte von ihm entfernt gewesen, ohne sich zeigen zu können. Ihm war, als wollte das Schicksal ihn verhöhnen, weil es ihn in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher