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Der Blaumilchkanal

Der Blaumilchkanal

Titel: Der Blaumilchkanal
Autoren: Unbekannter Autor
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Freund stammelte beschämt eine Entschuldigung, und Schultheiß wurde es ganz weh ums Herz. Er liebte diesen Mann wie seinen eigenen Bruder. Es klopfte an der Tür.
    Sechs Tage sollst du arbeiten, am siebenten Tage ist der Sabbat des Herrn
    »Herr Direktor«, flüsterte der Buchhalter. »Wir haben die ganze Nacht durchgearbeitet, leider sind aber noch nicht alle Kassenbücher umgeschrieben.«
    Schultheiß brauste auf:
    »Am Montag früh muß ich die gefälschten Bücher beim Finanzamt vorlegen, verdammt noch mal. Bis dahin muß gefälligst alles fertig sein, damit wir die alten Bücher verbrennen können.«
    Der Buchhalter wandte mit schwacher Stimme ein, daß es schon Samstag sei. Schultheiß blickte den erschöpften, abgemagerten Buchhalter mitleidig an:
    »Na gut«, sagte er herzlich, »nehmt die Bücher mit nach Hause und macht sie dort fertig. Ich bin ja nicht so.«
    Seine Sekretärin trat ein.
    Du sollst Vater und Mutter ehren, auf daß du lange lebest
    »Herr Schultheiß, Ihr Vater ist hier«, meldete Schosch.
    Schultheiß trommelte nervös auf den Schreibtisch.
    »Tausendmal habe ich ihm schon gesagt, er soll nicht ins Büro kommen«, schnauzte er das Mädchen an. »Sag ihm, ich habe keine Zeit.«
    Bevor sie bei der Tür war, packte ihn jedoch das schlechte Gewissen. Schultheiß zog eine Banknote aus der Tasche.
    »Gib ihm das und frisier dich.«
    Du sollst nicht töten
    Schosch kam zurück und betrat ungewöhnlich still das Zimmer. Sie war noch immer zerrauft, ihre Augen waren gerötet. Schultheiß blickte das Mädchen voll Mitgefühl an. So jung und schon so vom Schicksal geschlagen.
    »Sei nicht traurig, Kleine«, sagte er väterlich. »In ein paar Tagen werden wir alles geregelt haben.«
    Schosch schluchzte.
    »Wir sollten die Angelegenheit nicht unnötig dramatisieren. Schau mich an, ich bin völlig ruhig«, tröstete er sie. »Heutzutage ist das doch keine große Sache mehr. Immerhin«, fügte er hinzu - 
    Du sollst nicht ehebrechen
    »können wir so lange in aller Ruhe ins Ausland fahren, du kleines Dummerchen.«
    Du sollst nicht stehlen
    Endlich kam Brauner. Er sprach mit gedämpfter Stimme. Er habe gerade das Geschäft mit dem Bauherrn unterschrieben. Fifty-fifty. Maximale Diskretion. Schultheiß wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    »Im Grunde genommen kann von Unterschlagung ja gar keine Rede sein«, überlegte er. »Das Büro verliert keinen Pfennig.«
    Brauner händigte ihm den Vorschuß aus.
    »Trotzdem. Wie kann der Bauherr derartige Summen einsparen?« interessierte sich Schultheiß, doch Brauner beruhigte ihn. Man werde einfach ein paar Stützpfeiler einsparen. Dieser Bau brauchte nicht so viele Pfeiler. In Schultheiß regte sich das Verantwortungsbewußtsein:
    »Kann er auch wirklich nicht einstürzen?« fragte er.
    »Der Bauherr?« entgegnete Brauner. »Sie können sich auf mich verlassen, er ist sehr finanzstark. Es geht alles in Ordnung. Es sei denn«, räumte er ein, »der miese Ingenieur Wagner erhält an seiner Stelle den Auftrag.«
    Du sollst kein falsches Zeugnis über deinen Nächsten ablegen
    »Wagners Akte liegt mir zur Bearbeitung vor«, stellte Schultheiß fest. »Wer ist denn eigentlich dieser Wagner?«
    Brauner verzog das Gesicht.
    »Vor dem muß man sich in acht nehmen«, flüsterte er, »er hat einen sehr schlechten Ruf.« Schultheiß bedankte sich für die Information und versah die Akte mit einem großen roten Fragezeichen.
    Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus
    Auf dem Nachhauseweg fuhr der Chauffeur wieder an jener kleinen Villa vorbei. Die Äste der adrett gestutzten Bäumchen wiegten sich fröhlich vor dem plätschernden Springbrunnen. »Mistkerl«, brummte Schultheiß wütend, »ich kann mir schon denken, wo das Geld für solche Villen herkommt. Ein anständiger Mensch kann vor Hunger krepieren, und diese Kerle bauen Springbrunnen! Mindestens fünf große Zimmer. Und eine Eßecke in der Küche.«
    Zu Hause küßte Schultheiß seine Frau zärtlich auf die Stirn, und seine Hand strich spielerisch über die blonden Locken seines Sohnes. Vor dem Einschlafen betete er wie üblich kurz aber inbrünstig. Im Nu war er eingeschlafen, und auf seinen Lippen stand das unschuldige Lächeln eines Mannes, der nicht abweichet von dem Pfade der Tugend und die Lehre des Herrn befolget bei Tag und bei Nacht.

    Jeder hat seine geheimen Sehnsüchte. Ich zum Beispiel neide niemandem den Feiertag der Arbeit am 1. Mai, aber ich bin voll des Neides wegen Weihnachten.

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