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Der blaue Tod

Der blaue Tod

Titel: Der blaue Tod
Autoren: Boris Meyn
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Karaffe ein und rückte seinen Stuhl vom Fenster weg.
    Sören tat es ihm gleich. Die tief stehende Sonne über den Dächern der Hafenspeicher blendete. «Das hattest du doch schon lange vor.» Er prostete seinem Freund zu. «Hat sich also ein Käufer gefunden.»
    «Hundertfünfzig Hektar sind kein Pappenstiel. Das Landhaus, die Stallungen, die Felder   … Das will erst einmal bewirtschaftet werden. Wie du weißt, verbringe ich die wenigen freien Tage im Sommer lieber am Meer, und im Winter ist es in Volksdorf ungemütlich. Ich habe nie so recht an der Anlage gehangen. Außerdem erinnerte sie mich immer an das lange Dahinsiechen meiner Mutter. Die letzten Jahre waren fürchterlich. Für den Verwalter und das Personal ist gesorgt. Ich habe vertraglich vereinbaren können, dass der Käufer, ein Herr von Wittenberg aus dem Mecklenburgischen, das Personal übernimmt.»
    «Ich könnte mich nicht so einfach vom Haus meiner Eltern trennen», entgegnete Sören. «Der Abriss des Hauses am Brook damals ist mir schon recht nah gegangen, immerhin habe ich meine gesamte Kindheit dort verbracht.» Natürlich waren die Besitztümer der Bischops recht bescheiden im Vergleich zu denen der Hellweges, aber im Prinzip machte das keinen Unterschied.
    «Ich erinnere mich kaum mehr an unser Haus am Wandrahm.» Martins Elternhaus hatte im selben Viertel gestanden. Gemeinsam hatten die beiden dort ihre Jugend verbracht. Die gesamten Straßenzüge waren allerdings schon vor mehr als zehn Jahren abgerissen worden, als das Wohngebiet für den Bau der Speicher im Freihafen enteignet worden war. Die Speicherbauten hatten sich inzwischen immer weiter Richtung Osten ausgebreitet. Für Wohnraum war im Hafengebiet bald kein Platz mehr.
    Martins Eltern waren damals nach Volksdorf gezogen, und Sörens Mutter, Clara, war nach dem Tod von Hendrik Bischop in ihr Elternhaus in der Gertrudenstraße zurückgekehrt. Sören selbst hatte sich von der Entschädigungszahlung für das Haus am Brook eine schmale Reihenvilla in der Feldbrunnenstraße kaufen können. Unweit von Martin, der in einer deutlich größeren Villa in der Alten Rabenstraße wohnte.
    «Wie geht es übrigens deiner Mutter?», fragte Martin.
    «Unkraut vergeht nicht. Nur die Hitze macht ihr natürlich zu schaffen. Wie uns allen. Sie verlässt das Haus nur am Vormittag und in den Abendstunden. Gestern habe ich sie zu Pollini begleitet.»
    «Ins Stadttheater? Was gab es?»
    «Eine Komposition von diesem neumodischen Dirigenten, Mahler ist sein Name. Mutter war ganz begeistert.»
    «Gustav Mahler? Man hört, seine Stücke seien sehr eigenwillig.» Martin leerte sein Glas und schenkte nach.
    Sören nickte. «Ja, es war recht anstrengend. Seine Kompositionen sind einerseits sehr aufwühlend, andererseits   … wie soll ich sagen? Ich verstehe wohl zu wenig von der Materie   … Zumindest kann man sie nicht gerade als gefällig bezeichnen.» Er grinste. «Aber es war trotzdem ein sehr schöner Abend. Ich habe eine Bekanntschaft gemacht   …»
    «Soso.» Martin musterte seinen Freund spöttisch.
    Sören merkte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Er öffnete den obersten Knopf seines Hemdes und tupfte sich mit einer Serviette die Stirn ab. «Im Anschluss an das Konzert gab es eine kleine Soiree für die Freunde des Hauses. Nun, Mutter ist ja Mitglied im Förderkreis   …»
    Martin trommelte mit den Fingern auf der Tischkante und grinste seinen Freund an. «Mach es nicht so spannend. Wie heißt sie?»
    «Fräulein Mathilda Eschenbach. Sie spielt Violine im Ensemble des Stadtorchesters.»
    «Du sprichst ihren Namen aus, als könntest du an nichts anderes mehr denken, mein Freund.»
    «Na ja, sie ist eben   … sie ist bezaubernd. Du musst sie unbedingt kennen lernen.»
    «Nun mal ruhig Blut, mein Lieber. Du hast sie doch selbst gerade erst kennen gelernt. Oder habt ihr euch gleich vor Ort verlobt?»
    «Nur kein Neid.» Sören knuffte Martin freundschaftlich gegen die Schulter. «Ich habe mir erlaubt, sie morgen zu einem Bummel durch die Kunsthalle einzuladen.»
    «Und?»
    Ein siegesgewisses Lächeln huschte über Sörens Lippen. «Sie hat zugesagt.»
    «Du führst dich auf, als wärst du zwanzig und nicht vierundvierzig.»
    «Glaub mir, ich fühle mich auch, als wäre ich nur halb so alt.»
    «Wie alt ist denn das Fräulein Eschenbach, wenn ich fragen darf?»
    «Sechsundzwanzig. Sag mal   …», begann Sören schnell, bevor Martin Zeit hatte, den Altersunterschied mit einer spöttischen
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