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Der blaue Tod

Der blaue Tod

Titel: Der blaue Tod
Autoren: Boris Meyn
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und Schänken dementsprechend bis zum Bersten gefüllt. So auch die «Möwe». Am Ende der Kellertreppe roch es trotz der Temperaturen feucht und muffig. Sören versuchte, nicht daran zu denken, wie viele betrunkene Seeleute und Hafenarbeiter hier in den letzten Stunden gegen das Geländer und auf die Stufen uriniert hatten, dann wurde er von einer nachrückenden Gruppe durch die Tür geschoben.
    Der Geruch von Schweiß und Fusel verschlug ihm den Atem. Sören benötigte einige Augenblicke, bis er in dem rauchgeschwängerten Kellerraum überhaupt etwas erkennen konnte, so schummrig war die Beleuchtung. Die Räume der «Möwe» verzweigten sich in schmale, niedrige Gänge, die nach hinten führten. Irgendwo in der Ferne lärmte ein verstimmtes Akkordeon. Sören versuchte, einen Platz am Tresen zu ergattern, wo hektisches Gedränge herrschte. Langsam kämpfte er sich durch die Menge nach vorne.
    «Na, Sie hab ich hier ja wo noch nie geseh’n! Neuhier, wa?», schrie ihm die rotwangige Bedienung hinter dem Tresen entgegen, als er endlich an der Reihe war. Die Frau hatte eine üppige Figur. Genau genommen war sie fast so breit wie hoch.
    Sören stützte sich mit beiden Händen auf den Tresen, der mit einer klebrigen Dreckschicht besudelt war. «Nein, eigentlich nicht. Komme nur nicht jeden Tag. Ein Bier für mich.»
    Sie musterte ihn. «Auf Suche?», fragte sie, während sie das Bier abzapfte.
    «Kann man so sagen, ja.»
    Die Frau schüttelte nachdenklich den Kopf und ging zum vertraulichen Du über. «Wie ’n Festmacher siehste nich gerade aus! Was kannste denn?!»
    Ein glatzköpfiger Riese tauchte hinter dem Tresen auf, wischte die Hände an seiner dreckigen Schürze ab und schob sich die Hemdsärmel hoch. «Elsa, du sollst nich so bannich am Tresen schnacken!», schrie er der Frau zu. «Da hinten will einer ’ne Lage. Nu mach hinne!»
    Die Bedienung kuschte augenblicklich, reichte Sören stumm sein Bier herüber und schob sich am Tresen vorbei zum Schankraum.
    «Wo is’n der Willy?», fragte Sören, als ihm der Riese einen finsteren Blick zuwarf.
    «Willst du mich veräppeln?», brummte der Mann zurück. «Weiß doch jeder hier. Den hamm se abgestochen.»
    Sören kippte sein Bier herunter, schluckte zweimal nach Luft und gab einen lauten Rülpser von sich. Es war doch ein komisches Gefühl, sich in der Öffentlichkeit so richtig gehen zu lassen. «War ’ne Zeit weg», meinte er. «Sind Sie der neue Wirt?»
    «Hab die Schänke letzte Woche übernommen!»
    «Und?» Sören reichte dem Mann auffordernd das leere Glas. «Stimmt der Umsatz?»
    «Kann nich klagen! – Noch ’n Bier?»
    Sören nickte.
    «Musst dich ranhalten, mien Jung, wenn du für Montag noch was abhaben willst!»
    Es war Sören bekannt, wie das mit der Arbeitsvermittlung funktionierte, aber mit so deutlichen Worten hatte er nicht gerechnet. Wenn er in dem Tempo weitertrank, war er spätestens in einer Stunde abgefüllt. Er nahm das volle Glas entgegen und reichte dem Wirt drei Groschen. «Danke, aber bis nächste Woche bin ich versorgt.» Dann drängelte er sich durch die Menge zurück zum Schankraum. Auf einer der Bänke war noch Platz. «Rück mal!», forderte er den ersten Mann am Tisch auf und schob sich auf die Bank.
    «Bist du Stauer?», fragte der Mann rabiat. Dann musterte er Sören, der mindesten einen Kopf größer war, und wechselte in eine freundlichere Stimmlage. «Hier sitzen nur Stauer!»
    Sören nickte und stellte sein Glas ab.
    «Das ist Tom, der da is Heiner, und ich bin Paule!», stellte er die anderen am Tisch der Reihe nach vor. «Und wie heißt du?»
    «Sören.»
    «Prost, Sören!»
    «Prost! – War ’ne Zeit weg. Hab gerade erfahren, dass einer den Willy abgemurkst hat. Unschöne Sache   …»
    «Mir egal!», rief Paule. «Hauptsache die Elsa is noch dor! Nich, mien Deern?» Er grapschte nach dem ausladenden Hintern der Bedienung, die sich mit einem Tablett gerade ihren Weg zwischen den Bänken hindurchbahnte.
    «Finger wech! Sonst gib’s gleich was anne Backen, du Spacken!», rief Elsa, die allerdings keine Hand frei hatte, um sich zu wehren.
    Die Männer lachten dreckig. Auch die Tischnachbarn grölten. Es stank erbärmlich nach Tabak und Schweiß. Der Qualm war auf einmal so dicht, dass man kaum weiter als bis zur nächsten Tischkante gucken konnte. An der Decke hing ein Fischernetz, in dem allerlei ausgetrocknetes Meeresgetier in den merkwürdigsten Formen hing. Es sah aus, als zappelten die Fische; das Gewölbe war
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