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Der Bilderwächter (German Edition)

Der Bilderwächter (German Edition)

Titel: Der Bilderwächter (German Edition)
Autoren: Monika Feth
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wir sie begleiten?«, fragte ich.
    » Nicht im Rettungswagen, tut mir leid. Aber wenn Sie ein Taxi nehmen, dürfen Sie gern nachkommen.«
    » Hi«, sagte ich und beugte mich zu Ilka hinunter.
    » Hi«, wisperte sie. Hob die Hand und ließ sie kraftlos wieder sinken.
    » Du darfst dich nicht anstrengen«, sagte Merle. » Mach die Augen zu.«
    Doch das gelang ihr anscheinend nicht. Ihre Lider zuckten, ihre Finger bewegten sich unkontrolliert. Sie waren bunt, fast wie angemalt.
    » … nicht … allein«, flüsterte sie.
    » Wir lassen dich nicht allein«, versprach Merle mit Tränen in der Stimme. » Ich begleite dich im Rettungswagen und Jette kommt mit ihrem Auto nach.«
    Ich blickte zum Notarzt auf. Er war noch sehr jung. Er zögerte.
    Dann nickte er.
    *
    Marten hatte sich im Hintergrund gehalten. Als Ilka an ihm vorbeigetragen wurde, streckte er die Hand aus und berührte zärtlich ihr Gesicht.
    Sie bemerkte es nicht.
    Schlief tief und fest.
    Ihm war hundeelend zumute und er wäre jetzt gern allein gewesen. Aber noch waren Sanitäter in der Wohnung. Polizisten. Und Jette, die ihn verloren anschaute.
    Allein sein, dachte Marten. Dazu habe ich demnächst wieder verdammt viel Zeit.
    » Vielleicht«, sagte er zu Jette, » sollten wir endlich mal nachfragen, was hier eigentlich passiert ist.«
    *
    In der Tür zu seinem Arbeitszimmer blieb Marten so abrupt stehen, dass ich fast in ihn hineinlief. Männer drängten sich an uns vorbei und verließen die Wohnung. Ihre Stimmen entfernten sich hallend durchs Treppenhaus.
    Marten stand da wie angewurzelt.
    » Marten? Wieso …«
    Er trat beiseite, um mir Platz zu machen, und da sah ich es.
    Das ganze Zimmer war ein einziges Wandgemälde und es trug Ilkas Handschrift.
    Augen starrten mich an.
    Ein Mund schrie mir entgegen.
    Bäume flatterten durch den Himmel.
    Und ein Mann und eine Frau liebten sich in der blauen Luft.
    Es gab keine freie Stelle mehr an den Wänden. Ilka musste gemalt haben wie besessen.
    » Das … das war heute Morgen noch nicht da«, sagte Marten. Er stand in der Mitte des Zimmers und drehte sich um sich selbst, und in seinen Augen war so ein Staunen und eine solche Freude, dass ich ihn augenblicklich ins Herz schloss. » Es ist … atemberaubend.«
    Da hatte er recht. Die Knie wurden mir weich.
    So etwas hatte ich noch nie gesehen.
    Aber ich erkannte auch, wie viel Kraft es Ilka gekostet hatte, das zu malen.
    Es zu empfinden.
    Und auszudrücken.
    Jetzt erst bemerkte ich das Chaos auf dem Boden. Er war über und über mit Papieren, Fotos und Zeitungsartikeln bedeckt. Vielleicht hatte es so etwas wie eine Ordnung gegeben, doch die war zerstört worden, als all die Leute darauf herumgetrampelt waren.
    » Es sollte eine Arbeit fürs Studium werden«, erklärte Marten abwesend, denn sein Blick wanderte noch immer durch die Geschichten an seinen Wänden. » Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig.«
    » Ich muss los«, sagte ich und berührte seinen Arm. » Zum Krankenhaus.«
    Er nickte.
    » Soll ich ihr was ausrichten?«, fragte ich.
    » Sag ihr … Sag ihr … Nein. Ich sag es ihr selbst. Später. Irgendwann.«
    Erst jetzt fiel mir auf, dass das Fenster noch immer offenstand. Ich ging hin, um es zu schließen und warf einen Blick hinaus.
    Im Haus gegenüber stand ein kleiner Junge am Fenster. Er hob zögernd die Hand und winkte.
    Ich lächelte ihm zu.
    *
    Neun Tage später
    Mike war viel zu früh, doch er hatte es zu Hause nicht ausgehalten. Schon um fünf war er wach geworden und hatte nicht mehr einschlafen können. Also hatte er gefrühstückt und war in seine Werkstatt gegangen, um sich ein bisschen mit dem alten Schreibtisch zu beschäftigen, den er gerade restaurierte.
    Aber das Ablenkungsmanöver hatte nicht funktioniert. Schließlich hatte er Jette und Merle einen Zettel auf den Küchentisch gelegt, war in seinen Wagen gestiegen und in den dunklen Morgen hinausgebraust.
    In der stillen Dunkelheit Birkenweilers hatte er sich gefühlt wie der einzige Mensch auf der Welt, doch im Fluss des Berufsverkehrs merkte er, dass er nur eine der Millionen und Abermillionen Ameisen war, die sich emsig hin und her bewegten.
    Als Kind hatte er einmal einen Ameisenhaufen im Wald gefunden. Ein anderer Junge hatte einen Stock aufgehoben und hineingestochen. Lachend hatte er in dem Gewirr der hektisch umherrennenden Tiere gerührt, bis der ganze Bau zerstört war.
    Damals hatte Mike begriffen, dass jedes Lebewesen austauschbar war.
    Jetzt, auf der Autobahn, in der langen
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