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Der Augenjäger / Psychothriller

Der Augenjäger / Psychothriller

Titel: Der Augenjäger / Psychothriller
Autoren: Sebastian Fitzek
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nach all den Ehejahren plötzlich zu gestehen, bestimmte seiner Vorlieben noch nie geteilt zu haben, hätte sie als Lügnerin entlarvt und ihn (zu Recht, wie sie fand) empfindlich verletzt. So schwieg sie weiter und machte sich lange Zeit vor, die Dinge im Griff zu haben.
    Diese Hoffnung starb an einem schwülen Sommertag im August, als sie durchgeschwitzt mit den Wochenendeinkäufen nach Hause kam. Ihre Tochter Nicola war auf Klassenfahrt an der Ostsee, sie hatte sich auf einen ruhigen Freitagabend mit Pizza und einer DVD gefreut (
Angel Heart
mit Mickey Rourke, den ihr Mann noch nicht kannte und den sie auf dem Grabbeltisch für drei Euro mitgenommen hatte) und war enttäuscht angesichts der unangekündigten Gäste im Wohnzimmer. Christian fläzte sich mit zweien seiner Kanzleifreunde auf der Couch. Offensichtlich hatten sie schon einige Flaschen Wein geleert. Johanna erwartete keinen Begrüßungskuss, das hatte Christian schon früher nur ungern getan. Meist gab er ihr einen flüchtigen Klaps auf den Po oder zwickte ihr seit neuestem sanft in die Brustwarze, wenn sie nach Hause kam. An diesem Tag war er noch einen Schritt weitergegangen.
    Sie konnte sich nicht mehr an alle Ereignisse jenes Abends erinnern, vieles davon hielt ihr Unterbewusstsein gnädigerweise unter Verschluss, aber das, was ihr im Gedächtnis geblieben war, reichte aus, um sie auch heute noch schreiend aufwachen zu lassen.
    Christian war aufgestanden und hatte ihr ohne Vorwarnung mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen.
    »Du hast uns warten lassen, du kleine Drecksau«, sagte er gespielt vorwurfsvoll und drehte sich zu seinen Freunden um.
    »Was meint ihr, wie sollten wir meine Ehehure dafür bestrafen?«
    Johanna verzog das Gesicht in dem sinnlosen Versuch, den Gewaltausbruch ihres Mannes mit einem Lächeln als harmlosen Scherz herunterzuspielen. Seine Anwaltsfreunde (beide gut gekleidet in Anzug, Schlips und Einstecktuch; beide mit Ehering) lachten anzüglich. Erst jetzt bemerkte sie den Porno, der tonlos im Fernsehen lief. Gerade wurde einer nackten Frau eine Lederkapuze über den Kopf gezogen.
    »Soll ich euch noch etwas bringen?«, fragte Johanna zitternd, und bis heute ist sie sich nicht sicher, ob das ein Fehler gewesen war. Ob Christian das als Einwilligung zum Rollenspiel verstanden hatte, sie seinen Freunden vorzuführen.
    Vorführung.
Christians Synonym für häusliche Gewalt. Wie oft hatte er ihr im Bett seine Vergewaltigungsphantasien ins Ohr geflüstert: wie er sie im Wald nackt an einen Baum binden wollte, zufällig vorbeikommenden Joggern wie Freiwild ausgeliefert. Seine Phantasien waren teilweise so lächerlich gewesen (einmal wollte er sie tatsächlich in einem Bordell als Hure arbeiten lassen), dass sie sich nie ernsthaft Sorgen gemacht hatte, er könnte sie in die Tat umsetzen. An jenem Sommerabend im August erkannte sie ihren Irrtum.
    Am nächsten Tag begann sie zu trinken. Um sich zu betäuben. Um zu vergessen. Den Tag ihrer bislang größten Schmerzen, der den Grundstein für ihre spätere Einweisung in Sankt Pfarrenhopp legte – vier Jahre später, als sie bereits ihren Beruf, sämtliche Sozialkontakte und einen guten Teil ihres Lebenswillens verloren hatte und Christian ihr am Küchentisch eröffnete, dass er sich scheiden lassen würde. Er hatte sich in eine jüngere, hübschere und intelligentere Frau verliebt, eine Studentin, die sich nicht so gehen lasse wie sie. Und selbstverständlich würde er Nicola mitnehmen, ihre pubertierende Tochter, die man ja wohl kaum bei einer verwahrlosten Trinkerin zurücklassen könnte, die sich jedem x-beliebigen Mann wie ein billiges Flittchen an den Hals warf.
    Ihr waren die Tränen heruntergelaufen, und ausnahmsweise zitterten ihre Hände einmal nicht wegen ihres sinkenden Alkoholpegels. »Das kannst du nicht tun«, hatte sie ihn anschreien wollen. »Du kannst mich nicht wie einen zerfetzten Schuhabtreter entsorgen und mir meine Tochter rauben.« Doch alles, was sie hervorbrachte, war ein gequälter Schrei.
    Christian schüttelte abfällig den Kopf, in seinen Augen lag nichts als Verachtung. Er wusste, er hatte die Schlacht gewonnen, bevor sie begonnen hatte. Er war Anwalt, sie eine psychisch gebrochene Säuferin. Allein die Videos, die er gefilmt hatte, während sie Freunden, Bekannten und wildfremden Männern zur Verfügung hatte stehen müssen, hätten jede noch so emanzipierte Familienrichterin auf die Seite des Mannes geschlagen. Videos, auf denen Johanna die Einzige
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