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Der Auftraggeber

Der Auftraggeber

Titel: Der Auftraggeber
Autoren: Daniel Silva
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aufgeschlitzt worden. Andere behaupteten, der Einriß stamme von der Hand eines Terroristen, den Schamron in einer finsteren Gasse in Kairo mit einer Drahtschlinge erdrosselt habe. Schamron selbst bestand immer barsch darauf, die Wahrheit sei viel prosaischer - er habe sich die Jacke an einer Autotür aufgerissen -, aber das nahm ihm im Dienst kein Mensch ab.
    Er bewegte sich mit gesenktem Kopf und gespreizten Ellbogen, als sei er darauf gefaßt, von hinten überfallen zu werden. Der Schamron-Schlurfschritt, ein Gang, der zu besagen schien: ›Platz da, sonst passiert was!‹
    Rami spürte, wie sein Puls sich beim Anblick des Alten beschleunigte. Hätte Schamron ihm befohlen, von einer Klippe zu springen, wäre er gesprungen. Hätte der Alte ihm befohlen, mitten in der Luft haltzumachen, hätte er's irgendwie geschafft, das zu tun.
    Als Schamron näher herankam, konnte Rami seinen Gesichtsausdruck studieren. Die Falten um den Mund waren etwas tiefer. Er war wütend - das merkte Rami an seinem Blick , aber zugleich schien ein schwaches Lächeln um seine Lippen zu spielen. Was zum Teufel gibt's da zu grinsen? Chefs werden nicht nach Mitternacht gestört, außer es gibt dringende oder sehr schlechte Nachrichten. Dann erriet Rami den wahren Grund: Das Phantom von Tiberias war erleichtert, weil ihm eine weitere schlaflose Nacht, in der es keine Feinde zu bekämpfen gab, erspart geblieben war.
    Eine Dreiviertelstunde später glitt Schamrons gepanzerter Peugeot in die Tiefgarage eines nüchternen Verwaltungsgebäudes, das über dem King Saul Boulevard im Norden Tel Avivs aufragte. Er trat in einen Privataufzug und fuhr in seine Bürosuite im obersten Stock hinauf. Königin Esther, seine leidgeprüfte Sekretärin, hatte auf seinem Schreibtisch ein Päckchen Zigaretten neben einer Thermoskanne Kaffee zurückgelassen. Schamron zündete sich sofort eine Zigarette an und setzte sich.
    Nach seiner Rückkehr in den Dienst hatte er als erstes die luxuriöse skandinavische Büroeinrichtung seines Vorgängers abtransportieren und einer Wohltätigkeitsorganisation für russische Einwanderer spenden lassen. Jetzt sah das Büro wie der Gefechtsstand eines Truppenkommandeurs aus, der Mobilität und Funktionalität über Stil und Eleganz stellt. Als Schreibtisch benutzte Schamron einen großen, zerschrammten Bibliothekstisch. An der Wand gegenüber den Fenstern stand eine Reihe metallgrauer Karteischränke. Auf dem Regal hinter seinem Schreibtisch hatte er einen 30 Jahre alten deutschen Kurzwellenempfänger. Schamron war nicht auf die täglichen Zusammenfassungen des hauseigenen Abhördiensts angewiesen, denn er sprach ein halbes Dutzend Sprachen fließend und verstand ein weiteres halbes Dutzend. Außerdem konnte er das Radio selbst reparieren, wenn es einmal defekt war. Tatsächlich konnte er fast alle elektronischen Geräte instand setzen. Einmal hatten seine engsten Mitarbeiter, die zur wöchentlichen Einsatzbesprechung kamen, Schamron dabei angetroffen, wie er sich für das Innenleben von Königin Esthers Videorecorder interessierte.
    Das einzige Zugeständnis an die Moderne waren die gegenüber seinem Schreibtisch aufgebauten Großbildfernseher, die er jetzt mit seiner Fernbedienung einschaltete. Da er auf einem Ohr taub war, stellte er die Geräte ziemlich laut, bis es klang, als lieferten drei Männer - ein Franzose, ein Engländer und ein Amerikaner - sich in seinem Büro eine lautstarke Auseinandersetzung.
    Draußen, im Vorzimmer zwischen Esthers Büro und seinem eigenen, waren Schamrons engste Mitarbeiter wie besorgte Gefolgsleute versammelt, die auf eine Audienz bei ihrem Herrn und Meister warten. Dort warteten der windhundartige Eli aus der Planungsabteilung und der Talmudgelehrte Mordechai, Schamrons Exekutivoffizier. Ebenfalls anwesend waren Jossi, das Genie aus der Europaabteilung, das in Oxford Jura studiert hatte, und Lev, der cholerische Leiter der Operationsabteilung, der in seinen kostbaren freien Stunden Raubinsekten sammelte. Nur Lev schien keine Angst vor Schamron zu kennen. Er steckte alle paar Minuten seinen kantigen Schädel durch die Tür des Arbeitszimmers und rief: »Um Gottes willen, Ari! Wann? Hoffentlich noch heute nacht!«
    Aber Schamron hatte es nicht besonders eilig, mit ihnen zu reden, denn er war sich ziemlich sicher, mehr über die schrecklichen Ereignisse dieses Abends in Paris zu wissen, als sie jemals wissen würden.
    Schamron hockte eine Stunde lang mit ausdrucksloser Miene in seinem Sessel,
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