Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes
Autoren: Karl Bleibtreu
Vom Netzwerk:
Persönlichkeit im Äther aufgehen. Die
Karmalehre enthält trotz strenger Wahrung der individuellen Ungleichheit die Vielheit als Täuschung
(»Schleier der Maya«), Einheit als Urprinzip, zu welchem »Nirvana« hinstrebt.
    In diesem symmetrischen Bau ist alles nicht nur logisch wie bei keiner anderen Definition des Weltbildes, sondern auch
viel klarer angeschaut, während ein älterer Franzose die Mathematik »dunkel« nennt und Goethe ihr
»lebendige Anschauung« abspricht, welche sie geradezu aufhebe. In der Tat war ihr Ausgangspunkt anschauliche
Idee, doch indem sie diese in bloße Zahlenmessung verstrickte, verriet sie die höhere Vernunft an den niederen
Verstand. Sie wurde so zugleich das verwegenste Phantasieprodukt und die ausgeklügelste Abstraktion, ist
Verstandesmechanik und möchte doch Freiheit über die Natur behaupten. Diese bewunderungswürdige Spielerei
verwirrt daher unleidlich die Begriffe Freiheit und Mechanik. Sie läßt sich auf nichts Konkretes ein, wirkt nicht
durch, sondern für Erfahrung, wie Kant von der Physik sagt, dies aber widerspruchsvoll fortsetzt: unsere Empfindung sei
»was Wirklichkeit im Raum bezeichnet«. Wie kann subjektive Empfindung irgendwelche objektive Wirklichkeit
ersetzen! Letztere würde hiermit ganz verneint, wenn sie nur als Scheinerfahrung des sinnlich Empfundenen auftritt.
Vielmehr wird uns nur das innere Anschauungsvermögen als Ahnung einer Wirklichkeit durch das immaterielle Lebensprinzip
übermittelt. Wäre der Raumbegriff »in uns schon bei der Geburt vorhanden« (Mach), so würde dadurch
nur bewiesen, daß die »Welt« wünscht, wir möchten sie uns sinnlich vorstellen, weil dies ein
nötiger Durchgang zum Verständnis ihrer Sinnbildlichkeit. Indessen gibt Helmholtz zu, die sog. Naturkräfte
seien nur ein Objekt (richtiger Postulat) des Verstandes, Hertz resigniert sich offen: »das Scheinbild« der
Naturforschung habe keinerlei »Übereinstimmung mit den (wirklichen) Dingen«. Das ist blanke Kapitulation.
Wenn aber umgekehrt Kant völlig verworren »Freiheit und Unabhängigkeit des Menschen vom Mechanismus der
Natur« und der manchmal widerspruchsvolle Leonardo »Freiheit« als »Imperium der Natur«
proklamiert, so verwechseln sie die Notwendigkeit elektrischer Entzündung von Intuitionen durch die Zentralstelle mit
freier Verantwortung der Einzelseele. Beide Denker reizte ihre Milieuwidersetzlichkeit gegen Priesterscholastik zu
widerborstigem Hervorkehren mechanistischer Stacheln, doch ihr im Alter über jeden Materialismus emporgereifter
Denkerstolz verlockte sie umgekehrt zu unbesonnener Überhebung. Denn ihr geheimes Erkennen der Alleinheit hält die
geahnte transzendentale Freiheit für gleichbedeutend mit Überwindung der unentrinnbaren Notwendigkeit innerhalb der
Materie und des von ihr kausal bestimmten Ichs. Das ist Größenwahn, denn die ideenbildende Vernunft, solange sie
an den Ichgeist gebunden, stellt nur den passiv empfangenden stillen Partner der Weltvernunft vor und darf von sich aus
keinerlei Freiheit beanspruchen. Jede Inspiration des Genies unterfällt geradeso der Notwendigkeit wie jeder
gewöhnliche Willensakt. Der vordem rationalistische Kant, den Nietzsche mit gewohnter Ungezogenheit des Un- und
Mißverstehens als Begriffskrüppel verhöhnt, mußte im Alter zuletzt ein Corpus mysticum schauen, auch
Leonardo Goethesche Ahnung singen hören: Die Geisterwelt ist nicht verschlossen, nur unser Hirn ist trüb, unser
Herz ist tot. Solchen Tiefblick gebeut kein freier kategorischer Imperativ, sondern die notwendige Kausalfolge eines einmal
auf den richtigen Draht eingestellten Denkens, das einfach den Botschaften der Weltvernunft zu gehorchen hat. Wie man dies
Mysterium wahrer »unbefleckter« Empfängnis für Kirchenbedürfnis sinnlich vergröberte, so
sträubt sich auch das Ichbewußtsein mit Freiheitswahn gegen den Prozeß, die Scheinvielheit in das Allsein
aufzulösen, d. h. die unbedingte Vorbestimmung alles Erkennens wie alles Geschehens anzuerkennen. Die Erleuchtung des
Genies ist keinerlei freies Verdienst, sondern eine Art Gnadenwahl der Notwendigkeit infolge einer durch Präexistenzen
verdienten Auslese einer besonders geeigneten Elektronenseele. Entzündet hingegen eine einheitliche Idee den latenten
elektrischen Draht einer Massenpsyche, so verbiegt ihn bald die Trägheit der Materie, verschüttet den
Anschluß an die Zentrale und schraubt ihn ab. Durchschneidet man grundsätzlich die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher