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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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sein, dass man sich festfährt: Womöglich bleibt der Wagen dann in den anbrandenden Wogen stecken.
    Und genau das passierte uns. Der Fahrer raste über den Strand, dort, wo der Sand genau die richtige Beschaffenheit hatte, doch dieser schmale Streifen verengte sich unerwartet noch weiter, als sich zu unserer Linken, zum Land hin, eine niedrige Sandklippe erhob. Von rechts brandete gierig die Flut an. Wir mussten abrupt stoppen, als der befahrbare Streifen ganz aufhörte, und Gischt begann gegen die zur See hin gerichteten Seitenfenster zu sprühen.
    Der Fahrer stieß ein paar laute Flüche aus. Wir hatten bereits bemerkt, dass unser Funkgerät nicht funktionierte. Wir saßen also in der Falle und konnten keine Hilfe herbeirufen. Der Fahrer haute den Rückwärtsgang rein und schrie, dass wir beten sollten. Zwei Fontänen von grauem, schmutzigem Wasser schossen plötzlich vor dem Kühler hoch, als die Räder in dem feuchten Brei zu mahlen begannen – erst ohne jede Wirkung, bis dann einer der Reifen Kontakt mit einem kleinen Fleck trockenen, festen Sandes bekam und der Wagen zurückschoss.
    Jetzt bewegten wir uns wieder, aber es war wichtig, den Landrover weiter in dieser Bewegung zu halten, ihn in möglichst gerader Linie und in schneller, sehr schneller Fahrt weiter nach hinten zu steuern. Das Wasser stieg rasch an, es bedeckte schon den festen Sand, schien aber seine Oberfläche noch nicht ganz aufgebrochen und sich mit den einzelnen Körnern verbunden und auf diese Weise begonnen zu haben, seine Konsistenz und Viskosität zu verändern. Das Auto raste rückwärts durch das Wasser, als ob es wunderbarerweise über dieses hinwegrollen würde. Nach fünf Minuten im Rückwärtsgang rumpelten wir über die niedrige Sandklippe, die an dem ganzen Ungemach schuld gewesen war, und befanden uns endlich in Sicherheit.
    Wir kämpften uns schließlich bis nach Rocky Point vor, den Ort, sechzig Meilen von der Stelle entfernt, wo die Dunedin Star auf Grund gelaufen war, an dem die Sir Charles Elliott das gleiche Schicksal erlitten hatte und zwei Männer ihrer Besatzung ertrunken waren. Ich hatte erfahren, dass es dort ein Grab gab, wenig bekannt und selten besucht.
    Die Überreste des Hochseeschleppers sind dort immer noch zu sehen, allerdings nur sehr kümmerliche. Die Brecher wühlen das Wasser dicht vor der Küste derart auf, dass es von weißen Schaumkronen bedeckt ist, doch hin und wieder ist es möglich, einen Blick auf zwei dünne schwarze nadelähnliche Gebilde zu erhaschen, die trotzig zwei, drei Fuß hoch aus dem Wasser ragen. Das ist alles: Zwei korrodierte Relingstützen oder Antennen, vielleicht auch Teile von irgendwelchen Aufbauten, die zwischen zwei Wogen für nicht mehr als eine Sekunde aus dem Atlantik auftauchen. Vor zwanzig Jahren waren noch die Brücke und Reste des Schornsteins zu sehen, doch das ist jetzt alles verschwunden.
    Ganz in der Nähe, an einer Stelle des Strands, von der aus das Wrack zu sehen ist, liegt auf einem sandigen Ausläufer, der von einer flachen Lagune ein wenig vor dem wütenden Ansturm des Meeres geschützt ist, das Grab des einen Seemanns. Es muss eine der entlegensten und am seltensten besuchten Grabstätten der Welt sein; leider muss man sagen, dass sie auch von einer unvorstellbaren Hässlichkeit ist: ein kastenähnliches Gebilde aus vier Reihen roter Ziegelsteine und mit einer schräg gestellten großen Messingtafel am Kopfende. Ihr Mangel an Schönheit wird ein wenig von den vielen Walknochen kaschiert, die sie bedecken. Einige sind von den Wellen herangespült worden, andere haben die wenigen Besucher auf ihr niedergelegt.
    Das Grab erinnert in erster Linie an Matthias Koraseb, der aus Südwestafrika stammte und dessen Leichnam geborgen und an dieser Stelle im sandigen Boden seines Geburtslands begraben wurde. Doch auf der Tafel steht auch der Name von Angus Campbell Macintyre, dessen Leiche man nie fand: Er war der Erste Maat der Sir Charles Elliott gewesen. Es ist schottische Tradition, auf einem cairn , einem der alten Grabhügel aus Bruchgestein in den Highlands, einen Stein zurückzulassen, und ich hatte schon seit Langem den Wunsch verspürt, etwas auf diesem Grab niederzulegen, falls ich jemals die Gelegenheit dazu bekäme.
    Ich schäme mich nicht zuzugeben, dass ich äußerst bewegt war, als ich dort, das Donnern der Brandung in den Ohren, im Seewind vor diesem einsamen kleinen Grab stand. Und obwohl ich wusste, dass das eine rührselige Geste war, schrieb ich auf
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