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Der Assistent der Sterne

Der Assistent der Sterne

Titel: Der Assistent der Sterne
Autoren: Linus Reichlin
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Sie.«
    »Sie kennen also keine Frau, die Vera Lachaert heißt.« Lulambo sprach jetzt leise, er wirkte wieder besorgt. Was immer ihn umtrieb, es musste für ihn äußerst wichtig sein; Jensen war bereit, das zu respektieren. »Wenn Sie diese Frau jetzt nicht kennen«, sagte Lulambo, »dann bedeutet das vielleicht, dass Sie sie erst morgen oder in einer Woche kennenlernen werden. Aber vielleicht nicht hier. Vielleicht an einem anderen Ort. Das könnte sein. Warten Sie!« Lulambo hob die Hand. »Haben Sie vor, zu verreisen? Morgen oder in nächster Zeit?«
    Ein Zufall, dachte Jensen. Was sonst.
    »Ja, ich werde verreisen«, sagte er.
    Einen Moment lang war es so still, das man das Rascheln von Buchseiten hörte; die Buchhändlerin überblätterte offenbar ein uninteressantes Kapitel.
    »Darf ich fragen, wohin Sie verreisen?«
    Warum nicht, dachte Jensen.
    »Nach Island.«
    »Allein?«
    »Nein.«
    »Mit einer Frau? Oder ist eine Frau dabei?«
    Ja, es war eine Frau dabei, die Assistentin von De Reuse. Jensen kannte sie nicht, und sie hieß nicht Vera Lachaert. Man hätte diesem Mann den Wohnungsschlüssel überlassen und es später bitter bereut.
    »Es kommt eine Frau mit«, sagte er widerwillig. »Aber es ist nicht die Frau, die Sie suchen oder von der Sie glauben, dass ich sie kenne. Wahrscheinlich verwechseln Sie mich mit jemandem. Ich bin fast sicher, dass es so ist. Das machtaber nichts. Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen. Doch jetzt möchte ich dieses Buch hier kaufen, und dann muss ich leider los. Alles Gute.«
    Sie schüttelten einander die Hand. Als Jensen seine zurückziehen wollte, hielt Lulambo sie fest. Es war Angst in seinen Augen, nicht die eines Verrückten, Jensen hätte es nicht erklären können, es war gesunde, begründete Angst. »Vera Lachaert«, sagte Lulambo. »Sie müssen ihr aus dem Weg gehen. Ich bitte Sie. Denken Sie daran. Halten Sie sich von dieser Frau fern. Es ist lebenswichtig.«

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    2
    S IE WOLLTE POPCORN , eine Packung mittlerer Größe, aber es war kein Film für Popcorn. Die Kritiker nannten den Film ein Kunstwerk, im Foyer des Kinos herrschte vor Beginn der Vorführung eine andächtige Stimmung. Die wenigen Besucher diskutierten leise über den Regisseur, während Jensen als Einziger Popcorn bestellte. Es war, als würde man sich in einer Kirche die Haare kämmen.
    »Es ist mir egal«, sagte O’Hara, als Jensen ihr die Tüte brachte. O’Hara hatte sich diesen Film unbedingt anhören wollen.
    »Was ist dir egal?«
    »Sie reden über mich.«
    »Wer?«
    »Die Leute hier.«
    »Ich dachte, sie reden über den Regisseur.« Aber er hatte es natürlich auch gehört. Wortfetzen, Extrakte aus geflüsterten Bemerkungen. Es war ihm weniger egal, als er es sich gewünscht hätte. Er hob den Kopf und blickte die Leute offensiv an, sie wandten sich ab. Einer sagte laut: »Dieser soll ja noch sehr viel besser sein.«
    Brügge war eine Kleinstadt und damit der denkbar schlechteste Ort, um mit einer Blinden ins Kino zu gehen. Unweigerlich wurde man zur Attraktion. Jensen, der in Konstanz aufgewachsen war, hielt Kleinstädte seither für die miserabelste aller menschlichen Siedlungsformen. Das Vorzeichen der Kleinstädte war das Minus, minus Gemeinschaftsgefühl der Dorfbewohner, minus Gleichgültigkeit der Großstädter, ein Plus war beim besten Willen nicht zu erkennen. Und dennoch war er wieder in einer solchen Minus-Siedlung gelandet.
    »Der Film fängt gleich an«, sagte er. »Gehen wir rein.«
    »Auf wie viel Uhr?«, fragte O’Hara.
    »Eingang auf zwei Uhr«, sagte er. Sie ging nun allein, ohne seine Hilfe, auf den Eingang des Kinosaals zu; die Leute wichen vor ihr zur Seite. Durch ein dürres Spalier schritt sie in den Saal, eine große, schöne Frau, der Saum ihres schwarzen Wintermantels wogte hin und her, die Männer hielten sich an ihren Eintrittskarten fest. Vor dem Eingang blieb O’Hara stehen, sie drehte sich nach Jensen um, in ihrer schwarzen Sonnenbrille spiegelten sich die Deckenlichter des Foyers.
    »Jensen?«
    »Ich bin hier«, sagte er.
    »Welche Reihe?«
    Er schaute auf den Tickets nach.
    »Neun. Platz fünfzehn.«
    Sie zählte mit der Hand die Sitzreihen ab, danach dieStühle, bei denen sie sich aber verzählte, sie setzte sich auf Sitz sechzehn.
    »Es ist der Platz rechts neben dir«, sagte Jensen. Er respektierte natürlich ihren Wunsch, sich ohne fremde Hilfe in der Welt zurechtzufinden. Gleichwohl wäre es für ihn manchmal unkomplizierter gewesen, wenn sie
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