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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Frau, Ihre Kinder … Was hat man mir genommen? An realen Werten – nichts! Ich saß auf der Universität in Erlangen und hörte Anatomie und Pathologie. Dann war Krieg, und ich kam nicht mehr zum Nachdenken. Nur eins bewegte mich in all den Jahren: Wenn du bloß da wieder herauskommst! Man hat mir nichts genommen als meine Jugend. Aber dafür liegt das Leben noch vor mir …«
    »Auf das, was vor uns liegt, pfeife ich!« Sellnow schnellte vom Stuhl empor und rannte in dem kleinen, sonnigen Zimmer hin und her. »Oder glauben Sie, man läßt uns wieder zurück nach Deutschland? Als lebende Propaganda gegen den Kommunismus? Das wäre einmal ein Märchen, das wahr wird!«
    Dr. Böhler stützte sich auf den Tisch und nahm ein Blatt aus der Mappe. »Nummer 9523 E«, sagte er. »Unfall im Stollen. Eine Strebe brach und begrub den Mann. Rippenquetschung und unbekannte innere Verletzungen. Wurde in der Nacht eingeliefert. Erste Betreuung hat Dr. Kresin übernommen …«
    »Dieses Rindvieh!« meinte Sellnow grob.
    »Dr. Kasalinsskaja hat den Fall übernommen und Tetanusantitoxin gegeben.«
    »Bei 'ner Rippenquetschung!« warf Sellnow entsetzt dazwischen.
    »Der Mann hatte auch Schürfungen … aber lassen wir das. Für uns ist es nur wichtig, daß sich die russischen Ärzte um unsere Arbeit kümmern, daß sie nicht mehr abseits stehen und nur gesund schreiben, sondern Interesse an unserem Gefangenenlazarett zeigen.« Er blickte Sellnow fragend an. »Was hat unsere liebe Ärztin eigentlich gesagt, als Sie sich bei ihr für das Skalpell bedankten?«
    »Sie hat mich hinausgeworfen!« sagte Sellnow und wurde rot.
    »Hm. Und sonst nichts?«
    »Mir genügt's!«
    Ohne anzuklopfen trat in diesem Augenblick ein großer Mann, ein Bulle in erdbrauner Uniform, ins Zimmer. Er grüßte nicht, er blieb im Türrahmen stehen und sah von einem zum anderen.
    »Da sind Sie!« sagte er laut.
    Dr. Böhler klappte die Mappe zu und senkte grüßend den schmalen Kopf. »Ja, Dr. Kresin?« sagte er fragend.
    »Sie habben operiert heute, mit Taschenmesser?«
    »Ja.«
    »Das ist verbotten!«
    »Es war der einzige Weg, das Leben zu retten! Wir haben keine anderen Instrumente. Wir haben – das wissen Sie ja – nichts!«
    »Und womit habben Sie genäht?«
    »Mit Seide …«
    »Woher?«
    Sellnow spürte eine Falle. Ehe Dr. Böhler antworten konnte, kam er ihm zuvor und schob sich zwischen den Chefarzt und den Russen.
    »Wissen Sie das denn nicht, Dr. Kresin?« fragte er dreist. »In Baracke IV, Block 1, züchten wir doch Seidenraupen!«
    Dr. Sergeij Basow Kresin sah Dr. von Sellnow groß an. In seinen Augen stand Unbegreifen und Zorn. Er wischte mit der Hand durch die Luft, und seine große, tellerförmige Handfläche wirkte wie ein Fächer. Deutlich war der Luftzug zu spüren.
    »Seide ist gestollen! Von Bascha aus Küche! Sie nähen mit einem Schal! Das ist unerhört!«
    »Dann geben Sie uns Nähmaterial«, sagte Dr. Schultheiß laut.
    »Nichts, nichts gebbe ich! Ihr sollt verrecken, alle, alle …«
    Dr. Böhler sah in das zornige Gesicht seines Kollegen und lächelte plötzlich. Er griff zu seiner Mappe, nahm ein Papier hervor und nickte zu Dr. Kresin hin.
    »Der Mann aus dem Stollen, den Sie mir einlieferten, hat eine Milzquetschung. Wir müssen exstirpieren!«
    Dr. Sergeij Kresin riß die Augen weit auf: »Ach!« sagte er. »Sie wollen Milz wegnehmen? Hier?«
    »Ja.«
    »Mit Taschenmesser?«
    »Wenn es sein muß – ja.«
    »Sie sind verrückt …«
    Dr. Böhler schüttelte den Kopf. Auf seiner hohen Stirn perlte der Schweiß. »Nein, Dr. Kresin«, antwortete er leise. »Ich bin nur verzweifelt …«
    Dr. Kresin trat gegen die Tür, mit einem Krach sprang sie auf. »Mitkommen«, schrie er rauh. »Sofort!« Dann ging er voraus, während Sellnow sich an Dr. Böhlers Arm hing.
    »Was soll das?« flüsterte er erregt.
    Dr. Böhler lächelte leicht, indem er sagte: »Ich habe das Gefühl, als bekämen wir jetzt einen ganz brauchbaren Operationsraum …«
    Sie gingen zusammen über den Platz. Die Abendsonne lag wie Gold über den Baracken und Drähten, den Wachttürmen und den fernen Wäldern. Aus einer Baracke ertönte Gesang … er wurde begleitet auf einer selbstgebastelten Mandoline. In seinem Garten stand der Plenni Karl Georg und harkte die Beete mit einer hölzernen, geschnitzten Harke. Als er die Ärzte kommen sah, nahm er Haltung an und legte den Harkenstiel wie einen Gewehrlauf an die linke Seite. Dr. Böhler lächelte und winkte ihm zu.
    »Was
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