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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad
Autoren: Heinz G. Konsalik
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der Ruhe, mein Junge«, sagte er, »das kriegen wir schon hin, in vierzehn Tagen sind Sie wieder auf dem Damm …« Er machte mir ein Zeichen mit dem Kopf, und ich setzte die Maske vor Mund und Nase des Kranken.
    »Tief und ruhig atmen«, sagte ich zu ihm, »und von hundert rückwärts zählen, hundert, neunundneunzig, achtundneunzig und so weiter, verstanden?«
    In diesem Augenblick trat die Kasalinsskaja heran und nahm mir die Ätherflasche aus der Hand. »Lassen Sie mich«, sagte sie hart und dann, gewollt gebrochen in ihrem sonst guten Deutsch: »Du geh zu Chef.«
    Ich blickte auf und in das Gesicht Sellnows. Seine Augen verschlangen die Kasalinsskaja. Der Haß in seinem Blick war unverkennbar, aber auch die Bewunderung für dieses Weib mit der wunderbaren Figur.
    »Haben Sie kein Skalpell?« fauchte er sie an. Sie schüttelte den Kopf. »Kein Instrument?« fuhr er fort. Sie schüttelte den Kopf. »Womit operieren Sie denn dann?«
    »Ich bin Internistin, ich operiere nie.« Die Kasalinsskaja lächelte, wirklich, sie lächelte Sellnow an und begann dann ungerührt den Äther auf die Maske zu tropfen.
    Der Kranke hatte aufgehört zu zählen und fing plötzlich an, heftig zu zucken und sich aufzubäumen.
    »Exzitation«, sagte Dr. Böhler ruhig. »Schultheiß und Pelz, halten Sie ihn fest – und Sie«, er machte eine Kopfbewegung zur Kasalinsskaja, »tropfen Sie schneller.«
    Der Zwischenfall war in Sekunden vorüber. Der Kranke lag ruhig atmend da. Ich griff zum Puls und meldete: »Hundertzwanzig.« Nicht einmal eine Uhr hat man oder wenigstens ein Sandglas, um den Puls richtig zählen zu können, dachte ich – da hatte Böhler schon das Messer in der Hand, legte die Linke spannend auf die Haut des Operationsfeldes und zog einen raschen Schnitt.
    Während Sellnow die improvisierten Wundhaken aus Draht ansetzte und die Wunde weiter auseinanderzog, tupfte der Chirurg das Blut auf. Dem Sanitäter Pelz, der beim Tablett mit den Instrumenten stand und sie Böhler zureichte, rief er anerkennend zu: »Schneidet tadellos, das Messer«, und Pelz, der es geschliffen hatte, grinste geschmeichelt. Die Wunde klaffte nun weit, und wir konnten alle sehen, wie sich das gespannte Bauchfell hineinwölbte. Ich beobachtete die Gesichter. Böhler war ruhig und gefaßt, Sellnow erregt, und die Kasalinsskaja hatte offensichtlich Angst. Die Ätherflasche in ihrer Hand zitterte.
    »Klemmen«, befahl Böhler, und ich zuckte zusammen. Schnell – reichte ich ihm zuerst die eine Klemme, die er an das Bauchfell ansetzte. Vorsichtig schüttelte er sie, um das Bauchfell von den darunterliegenden Därmen zu trennen, und reichte sie dann Sellnow. Ein paar Zentimeter entfernt setzte er die zweite Klemme an. Sellnow hob jetzt beide Klemmen leicht an, und Böhler fuhr mit dem Messer über die entstehende Falte des Bauchfelles. Es klaffte sofort breit auseinander, und nun sahen wir die Bescherung. Grüngelber, stinkender Eiter füllte den Teil der Bauchhöhle, den wir übersehen konnten.
    Wir alle wußten, was das zu bedeuten hatte. Das war eine Bauchfellentzündung, zumindest in der Blinddarmgegend und offensichtlich von diesem ausgehend. Bisher hatten Böhler und Sellnow ohne besondere Eile gearbeitet, jetzt änderte sich das augenblicklich. Ich reichte dem Chirurgen einen gewöhnlichen Eßlöffel, und er holte damit den Eiter aus der Tiefe der Wunde. Dann tupfte er mit angefeuchteten Läppchen und Tupfern die Bauchhöhle aus, so gut es ging.
    Sellnow griff mit beiden Händen in die Wunde und legte den Wurmfortsatz, den Appendix, frei. Das Gebilde war dick geschwollen und an mehreren Stellen aufgerissen, perforiert.
    »Machen Sie das Eisen glühend«, sagte Böhler zu Pelz. Er nahm mit der Linken den Wurmfortsatz hoch, setzte eine Klemme an, und Sellnow unterband mit einem Stück Seide. Böhler durchtrennte das Gebilde und warf es in den Abfalleimer.
    Pelz reichte ihm an einer gewöhnlichen Zange einen dicken, glühenden Nagel. Böhler griff, die Hand mit einem Tuch geschützt, um sie sauber zu halten, nach der Zange und tupfte mit dem heißen Eisen auf den Operationsstumpf. Es zischte und roch scharf nach verbranntem Fleisch. Eigentlich hätte man dieses Sterilisieren des Stumpfes mit einem Thermokauter oder einem Desinfektionsmittel vornehmen müssen, aber es mußte hier auch so gehen.
    Wie hatte Sellnow vorhin zu mir gesagt? »Das wird weder schwierig noch langwierig.« Wie sollte dieser Kranke jemals die Bauchfellentzündung überstehen, ohne
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