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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Operationsgebiet, Rasieren nicht vergessen …«
    Sellnow war an den Kranken herangetreten und tastete behutsam mit beiden Händen die Gegend des rechten Unterbauchs ab. Der Kranke begann sofort vor Schmerz zu stöhnen. Sellnow ließ augenblicklich von ihm ab, sprach ein paar beruhigende Worte und trat dann ebenfalls an die Waschschüssel.
    »Ich übernehme die Assistenz«, sagte er heiser vor Wut, »und machen Sie die Narkose«, fügte er zu mir gewandt hinzu. Mit heftigen Gebärden trug er sich grüne Schmierseife auf Hände und Unterarme auf, feuchtete sie an, griff sich aus einem Behälter eine Handvoll Sand und begann sich mit diesen primitiven Mitteln zu waschen. Pelz hatte die Instrumente, die für die Operation zur Verfügung standen, in einen Kessel mit Wasser gesteckt, der auf einem Petroleumkocher summte. Es war kläglich, was ich da sah: ein paar Gefäßklemmen, ein paar Stücke Draht, die zu Wundhaken zurechtgebogen waren, und das klägliche Taschenmesser, sonst nichts. Mich schauderte.
    Plötzlich wurde mir siedend heiß. Ich trat zu Pelz, der das Operationsfeld gereinigt hatte und die Umgebung mit alten, zerschlissenen Baumwollfetzen abdeckte. »Mensch, Pelz«, sagte ich, »wir haben ja kein Nähmaterial, weder Catgut noch Seide.«
    »Lassen Sie man, Herr Doktor«, grinste Pelz, »dafür ha ick schon jesorcht. Ick hab der Bascha, dem Küchentrampel, ihren seidenen Schal jeklaut und uffjerebbelt. Wir ham jetzt ein paar Kilometer prima Seidenjarn … was wir für die Operation brauchen, kocht da drüben in dem Topp.«
    Ich hatte eben das, was wir stolz unser Instrumentarium nennen durften, auf ein Tablett ausgebreitet und auf einen Stuhl neben den Operationstisch gestellt, als die Kasalinsskaja den ›Operationssaal‹ betrat.
    Ihre erdbraune Uniformjacke war über der Brust geöffnet und ließ die rote Bluse, die sie darunter trug, sehen. Die langen, schwarzen Haare hingen ihr auf die Schultern und die breiten Schulterstücke. Sie trug flache, dick besohlte Sportschuhe und Seidenstrümpfe. Außerdem rauchte sie eine süß duftende türkische Zigarette.
    Sellnow trat auf sie zu und schrie sie an: »Was machen Sie denn hier?! Und auch noch rauchen, im Operationszimmer! Wohl verrückt geworden, was?!«
    Die russische Ärztin sah Sellnow groß an und warf die Zigarette in den Eimer, der für blutige Verbände, herausgeschnittene Organe und andere Abfälle dienen sollte. Sie schob mit ihrer kleinen, etwas gelben Hand den Oberarzt zur Seite und trat zu Böhler, der, die gereinigten Arme vorsichtig vor sich hinhaltend, Pelz Anweisungen bei der Lagerung und beim Festschnallen des Patienten gab. Pelz bediente sich dabei alter Lederriemen und zerschnittener Koppel.
    Die Kasalinsskaja blickte auf den Patienten und nickte.
    »Appendizitis«, sagte sie. Sie besaß eine schöne Stimme. Dunkel, schwingend, eine Stimme mit Melodie. Ihre Lippen öffneten sich beim Sprechen, als sei jedes Wort ein Kuß, und in ihre Augen trat ein Glanz, der sie fast schön machte – wenn man vergessen konnte, daß sie die Ärztin war, die jede Woche von Außenlager zu Außenlager fuhr und dort rücksichtslos die Männer in die Wälder, Steinbrüche, Bergwerke und auf die Bauten nach Stalingrad jagte, mit dem stereotypen Wort: »Gesund!« Gesund auch dann, wenn sie vor Hunger und Entkräftung schwankten, wenn Furunkel ihren Körper bedeckten, wenn das Fieber sie schüttelte … rabotat nada … dawai … dawai …
    Ihr habt Stalingrad zermalmt … ihr habt die schöne Stadt an der Wolga pulverisiert … nun baut sie wieder auf … und wenn es sein muß, mit euren Knochen! Mit eurem Blut als Mörtel, mit eurem Fleisch als Steinen, mit euren letzten Seufzern als Richtspruch!
    Dr. Böhler sah herüber. »Fertig mit den Instrumenten?«
    »Der Stiel hat sich durch das kochende Wasser vom Schaft gelöst«, antwortete ich leise.
    »Macht nichts«, meinte Böhler, »wenn der Holzstiel weg ist, können wir es wenigstens besser sterilisieren – soweit hier von Sterilität überhaupt die Rede sein kann«, fügte er traurig lächelnd hinzu.
    Er drehte sich nach Sellnow um, der noch immer mit dem Reinigen seiner Hände beschäftigt war, und rief: »Sind Sie fertig, Sellnow?« und dann zu mir: »Beginnen Sie mit der Narkose, Schultheiß.« Während ich unsere kostbare Ätherflasche öffnete und die aus Draht und Mullbinden behelfsmäßig angefertigte Narkosemaske an mich nahm, sprach Böhler einige tröstende Worte zu unserem Patienten.
    »Nur mit
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