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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)
Autoren: Alexander Solschenizyn
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streckte mir über die Pestwehr hinweg die Hand entgegen (niemals hatte er mir, solange ich frei war, die Hand gereicht!), ergriff sie fest, zum stummen Entsetzen des Gefolges, und sagte, warme Entspanntheit auf dem immer strengen Gesicht, furchtlos und deutlich:
    «Ich wünsche Ihnen … Glück … Hauptmann!»
    Nicht nur war ich kein Hauptmann mehr – ich war ein entlarvter Feind des Volkes (denn es ist bei uns jeder Festgenommene von Anfang an auch schon vollkommen entlarvt). Wem also wünschte er Glück – einem Feind?

    Dieses Buch wird nicht Erinnerung an mein eigenes Leben sein. Darum will ich davon absehen, über die komischen Einzelheiten meiner ganz und gar unüblichen Verhaftung zu erzählen. In jener Nacht mühten sich die Smersch- Leute vergeblich mit ihrer Straßenkarte ab (sie verstanden sich nicht aufs Kartenlesen), resignierten bald und überreichten sie schließlich mir, mit liebenswürdigen Komplimenten und der Bitte, dem Fahrer doch den Weg zur Armeeabwehrstelle zu zeigen. Mich selbst und meine Begleiter wies ich denn in dieses Gefängnis ein und wurde zum Dank dafür sogleich nicht in eine Zelle, sondern in den Karzer gesperrt. Diese Speisekammer eines deutschen Bauernhofes, die provisorisch als Karzer diente, möchte ich allerdings nicht übergehen.
    Sie hatte die Länge eines ausgestreckten Menschenkörpers und die Breite von drei dicht aneinandergereihten Männern, ein vierter mußte sich bereits hineinzwängen. Dieser vierte war ich, eingeliefert nach Mitternacht, die drei Liegenden blinzelten mich im Licht der Ölfunzel verschlafen und unfreundlich an und rückten ein wenig, so daß ich Platz hatte, mich dank der Schwerkraft allmählich zwischen zwei Körper einzukeilen, bis auch meine Seite das auf dem Boden liegende Stroh berührte. So waren unser in der Kammer acht Stiefel gegen die Tür und vier Uniformmäntel. Sie schliefen, ich loderte. Je selbstbewußter ich als Hauptmann noch tags zuvor war, desto schmerzlicher traf es mich, eingezwängt am Boden dieser Kammer zu liegen. Die steif gewordenen Glieder ließen meine Nachbarn ein ums andere Mal aufwachen, dann drehten wir uns in einem gemeinsamen Schwung auf die andere Seite.
    Gegen Morgen hatten die anderen ausgeschlafen, man gähnte, ächzte, zog die Beine an, verkroch sich in die verschiedenen Ecken und ging daran, Bekanntschaft zu machen.
    «Und du, wofür sitzt du?»
    Mich jedoch hatte unter dem vergifteten Dach des Smersch bereits der dumpfe Hauch des Auf-der-Hut-Seins angeweht, so tat ich einfältig erstaunt:
    «Keine Ahnung. Glaubt ihr, die sagen’s einem, die Hunde?»
    Meine Nachbarn hingegen, Panzerleute in schwarzen Helmmützen, verschwiegen nichts. Drei ehrliche, drei natürliche Burschen waren es, von der Art Menschen, die ich liebgewonnen hatte während des Krieges, selber komplizierter und auch schlechter als sie. Alle drei waren Offiziere. Auch ihnen hatte man wild und hastig die Achselstücke abgerissen, das Futter sah an manchen Stellen hervor. Helle Flecken auf den verschmutzten Blusen waren die Spuren der abgenommenen Orden, dunkle, rote Narben an den Händen und in den Gesichtern – die Male von Verwundungen und Verbrennungen. Zu ihrem Pech war ihre überholungsbedürftige Abteilung ins selbe Dorf eingezogen, in dem die Abwehr Smersch der 48. Armee in Quartier lag. Abgespannt vom Gefecht, das vorgestern war, hatten sie gestern über den Durst getrunken und waren etwas abseits vom Dorf in einen Badeschuppen eingebrochen, in den sie zwei aufreizende Weibsbilder sich einsperren sahen. Mit ihren torkelnden Verehrern hatten die Mädchen leichtes Spiel: dürftig bekleidet, aber heil, liefen sie davon. Doch es stellte sich heraus, daß die eine nicht irgendwem, sondern dem Chef der Armeeabwehr persönlich gehörte.
    Ja! Nach drei Wochen Krieg in Deutschland wußten wir Bescheid: Wären die Mädchen Deutsche gewesen – jeder hätte sie vergewaltigen, danach erschießen dürfen, und es hätte fast als kriegerische Tat gegolten; wären sie Polinnen oder unsere verschleppten Russenmädel gewesen – man hätte sie zumindest nackt übers Feld jagen dürfen und ihnen auf die Schenkel klatschen … ein Spaß, nichts weiter. Da aber die Betreffende die «Feld-und Armeegattin» des Abwehrchefs war, konnte ein beliebiger Sergeant aus dem Hinterland herkommen und den drei Frontoffizieren boshaft grinsend die Achselstücke runterreißen, die ihnen laut Frontbefehl zustanden, die Orden abnehmen, die ihnen das Präsidium des
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