Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Apotheker: Roman (German Edition)

Der Apotheker: Roman (German Edition)

Titel: Der Apotheker: Roman (German Edition)
Autoren: Clare Clark
Vom Netzwerk:
Empfindungslos und ohne jede Antriebskraft stand sie einfach nur da, als wäre sie verhext, mit leerem Blick, das vom Feuer gerötete Gesicht nach oben zu den Flammen gerichtet. Hätte die Frau des Metzgers sie nicht mit ihrer derben roten Hand am Arm gepackt und zum Kai gezerrt, sie wäre zweifellos dort stehen geblieben und verbrannt.
    Jahre später, bei einer der wenigen Gelegenheiten, da er sich erlaubte, von ihr zu sprechen, erzählte ihm sein Vater, dass sie danach, als alles vorüber war, bekannte, sie habe geglaubt zu träumen, so losgelöst war sie vom Gliederwerk ihres Körpers und der Gefahr, in der sie schwebte. In ihrer unfassbaren Angst hatte sie aufgehört zu denken und nur noch auf ihren versteinerten Leib geblickt und mit einer Art Gleichmut das Herannahen der unvermeidlichen Katastrophe verfolgt, wohl wissend, dass sie nur darauf wartete herauszufinden, was für Qualen ihr bevorstanden.
    Sie hatte gewartet, aber sie hatte nicht gebetet. Denn so sicher sie sich war, in dieser glühenden scharlachroten Hölle vernichtet zu werden, so sicher wusste sie, dass Gott nicht ihr Vater im Himmel war, sondern eine Feuersäule, rachsüchtig und ohne Gnade.

I
    1718
    S päter, als mir klar wurde, dass ich ihn überhaupt nicht geliebt hatte, fuhr mir der Schrecken in die Magengrube, ein Gefühl wie beim Treppensteigen im Finstern, wenn man sich verzählt und auf eine Stufe tritt, die gar nicht vorhanden ist. Es war nicht mein Herz, das so durcheinandergeraten war, sondern mein Gleichgewicht. Ich hatte noch nicht gelernt, dass es möglich war, einen Mann innig zu begehren, ihn dabei aber kein bisschen zu lieben.
    Oh, wie ich mich nach ihm sehnte. Wenn er nicht da war, vergingen die Stunden so langsam, dass man hätte meinen können, die Sonne wäre am Himmel eingeschlafen. Ich wartete den lieben langen Tag am Fenster, nur um einen Blick auf ihn zu erhaschen, wenn er kam. Jedes Mal, wenn jemand aus den Bäumen heraus um die Ecke bog, machte mein Herz einen Satz, meine Haut fiebrig vor Erwartung, auch wenn mir meine Augen sagten, dass dieser Jemand nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihm hatte. Selbst bei Slack, dem Metzger, der vom Scheitel bis zur Sohle höchstens eins fünfzig, dafür aber um die Leibesmitte deutlich mehr maß und dessen Arme so erbärmlich kurz waren, dass er Mühe hatte, die Fingerspitzen in seine Rocktasche zu schieben. Dann wandte ich mich schnell ab, die Wangen heiß, schwankend zwischen Scham und Belustigung. Wie hätte sich dieser biergetränkte Kloß die Lippen geleckt, hätte er gewusst, welchen inneren Aufruhr mir sein Anblick bereitete – dieses Aufflammen der Begierde zwischen meinen Schenkeln, das mich vor köstlicher Vorfreude die Fingernägel in die Handballen graben und mir die Haut im Nacken kribbeln ließ.
    Im staubig dämmrigen Licht des oberen Zimmers lehnte ich mich atemlos an die Wand, hob die Röcke und presste meine Hand auf die zarte Moschusblüte. Sofort teilten sich die Lippen, der schwellende Mund saugte gierig an meinen Fingern und umschloss sie mit kräftiger Inbrunst. Wenn ich schließlich die Hand an den Mund führte, um an ihr zu lecken, und dabei an das leidenschaftliche Drängen seiner Zunge dachte, an das Aroma der geheimsten Winkel meines Körpers auf seinem heißen roten Mund, musste ich mir auf die Fingerknöchel beißen, um nicht vor unerträglichem Verlangen laut aufzuschreien.
    O ja, ich brannte vor Verlangen nach ihm, mit jeder Faser meines Körpers. Ein Hauch des Orangenwassers, das er so gern hatte, sein seidenes Taschentuch an meiner Wange, die Erinnerung an den goldenen Saum seiner Wimpern oder die zarten Windungen seines Ohrs – das und noch weniger genügte, dass mein Mund trocken wurde und sich das Fleisch zwischen meinen Beinen in flüssigen Honig verwandelte. Wenn er bei mir war, wurde meine spitze Zunge weich wie Butter. Ich, die die anderen Mädchen wegen ihrer törichten Schwärmereien stets verspottet hatte, konnte kaum mehr atmen. Nicht einmal die Unzulänglichkeiten seines Gesichts, das mädchenhafte Rosa seiner feuchten Lippen oder die fliehende Linie seines Kinns, vermochten meine Leidenschaft zu dämpfen. Im Gegenteil, gerade diese Unvollkommenheit entflammte mich. In seiner Nähe konnte ich nur noch daran denken, ihn zu berühren, ihn zu besitzen. Am makellosen Glanz seiner Haut war etwas, das meine Fingerspitzen magnetisch zu ihm hinzog. Ich musste die Hände im Schoß verschränken, damit sie stillhielten.
    Das Verlangen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher