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Der Apotheker: Roman (German Edition)

Der Apotheker: Roman (German Edition)

Titel: Der Apotheker: Roman (German Edition)
Autoren: Clare Clark
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Aber nach all den Jahren ertappe ich mich immer noch dabei, dass ich mit ihr spreche, wie ich es in den düsteren Monaten unmittelbar nach ihrem Tod getan habe, als ich dachte, mein Herz würde stillstehen, und es für meinen Kummer keine Worte gab.
    In jenem Herbst befand nicht nur ich mich in tiefster Verzweiflung. Das gewaltige Gebilde der Südsee-Kompanie war in sich zusammengestürzt und hatte Tausende von Anlegern mit in den Abgrund gerissen. Das Jahr, in dem der Wert der Aktien in schwindelerregende Höhen stieg und Leichtsinn und Verwegenheit auf die Spitze getrieben wurden, brachte den totalen Zusammenbruch. Übrig blieb ein Trümmerhaufen. Der Aufschrei der Betroffenen erschütterte die ganze Stadt. Die Exchange Alley, wo man den Lockrufen der Börsenspekulanten mit solch lärmender, fieberhafter Erregung gefolgt war, hatte einen tiefen Schock erlitten und war verstummt, ebenso die Bank von England. Über Nacht waren gigantische Vermögen vernichtet worden, und diejenigen, die in der Hoffnung auf künftige Gewinne Aktien gekauft und geglaubt hatten, ihr Reichtum wäre gesichert, wankten unter der Last eines gewaltigen Schuldenbergs. Papiergeld war plötzlich wertlos. Häuser blieben halb fertig gebaut liegen; Schiffsbestellungen wurden storniert; die Zeitungen füllten sich mit Verkaufsanzeigen für Bilder, Porzellan und Spiegel. Auf dem Markt in der Long Lane und dem Regent Fair wurden prächtige Livreen zum Verkauf angeboten, und an jeder Straßenecke gab es einen Stand, an dem goldene Uhren und Diamantohrringe zu einem Bruchteil ihres wahren Werts verhökert wurden.
    Zahllose Familien waren in den Ruin getrieben worden. Sogar der von dem Buchhändler so geliebte und geschätzte Mr Newton musste erfahren, dass seine Gier größer war als seine Klugheit. Es hieß, er habe beim Zusammenbruch der Börse mehr als 20 000  Pfund seines Vermögens verloren. Das Desaster trieb viele in den Wahnsinn, und nicht wenige setzten ihrem Unglück ein Ende, indem sie sich das Leben nahmen. Die Hauptstadt schlingerte und wankte angesichts des Skandals und des Kummers, als sich bis dahin unbescholtene Gentlemen und Kaufleute die Kehle durchschnitten, sich erhängten oder in den trüben Wassern der Themse ertränkten und Frau und Kinder in zerrütteten Vermögensverhältnissen zurückließen. Gerüchte von einem Gentleman machten die Runde, der sich von der Whispering Gallery der St.-Paul’s-Kathedrale in die Tiefe gestürzt hatte, wo sein Kopf auf dem Marmorfußboden aufplatzte wie ein Kürbis.
    Monsieur Honfleur gehörte zu denjenigen, die flohen. Edgar überbrachte mir die Neuigkeit, als er kam, um sich von mir zu verabschieden. Wie Mr Newton hatte auch der Buchhändler aufgehört, in der Exchange Alley zu spekulieren, nur um dann erneut der Versuchung zu erliegen und einen letzten Einsatz zu wagen. Edgar zufolge hatte er sich verpflichtet, Anteilsscheine nach einem Ratenzahlungsplan zu kaufen, was bedeutete, dass er vor dem Börsenkrach Zahlungsverpflichtungen eingegangen war, die den Wert seiner Aktien bei Weitem überstiegen. Scheinbar hatte er sich davongestohlen in der Hoffnung, dass in dem Wust der unerledigten Zahlungsforderungen, der sich in den vergangenen Monaten in der Exchange Alley angehäuft hatte, die seinen verloren gingen oder in Vergessenheit gerieten.
    »Um seinetwillen ist zu hoffen, dass er nicht nach Frankreich zurückgekehrt ist«, meinte Edgar und beobachtete meine Reaktion. »In Marseille, heißt es, ist die Pest ausgebrochen.«
    »Und Annette? Ist sie auch fort?«, fragte ich, aber Edgar seufzte nur.
    »Wie leichtsinnig von dir, Eliza, dir schon wieder einen Mann durch die Lappen gehen zu lassen«, sagte er, und etwas von seinem alten Wesen flackerte in seiner Miene auf. »Wenn das nicht der Beweis ist, dass wir am Ende doch füreinander bestimmt sind.«
    »Vielleicht beweist dies aber auch nur, dass keiner von uns beiden für die Ehe bestimmt ist.«
    »Du hast immerhin deinen Mr Jewkes. Eine Geliebte kann es, wenn sie es schlau anstellt, mindestens so gut haben wie eine Ehefrau.«
    Ich schüttelte nur den Kopf.
    Edgar sah fahl und krank aus. Sein Gesicht war spitz geworden, und die schief sitzende Perücke war ihm über das eine Auge gerutscht, als wäre auch sein Kopf kleiner geworden. Als ich ihn fragte, was er jetzt zu tun gedenke, zuckte er die Schultern.
    »Ich könnte mit einem Schiff nach Virginia fahren«, sagte er. »Die dreizehn Kolonien sind angeblich ein wahres Arkadien. Land im
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