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Der Algebraist

Der Algebraist

Titel: Der Algebraist
Autoren: Ian Banks
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Dweller-Gedächtnisse wie die
Dweller-Bibliotheken gewöhnlich voll gepackt mit blankem Unsinn.
Bizarre Mythen, unverständliche Bilder, nicht zu
entschlüsselnde Symbole und sinnlose Gleichungen sowie
willkürlich aneinander gereihte Zahlengruppen, Briefe,
Piktogramme, Holophone, Sonomeme, Chemiglyphen, Aktinome und vieles
andere mehr war aus Millionen und Abermillionen von Zivilisationen
ohne jede Gemeinsamkeit, von denen die meisten längst
untergegangen und entweder zu Staub zerfallen oder als Strahlung ins
All entwichen waren, zusammengetragen und ohne jede Ordnung –
oder nach einem abstrusen und völlig unverständlichen
System – in einen Topf geworfen worden.
    Trotzdem fanden sich in diesem Durcheinander aus Propaganda,
verzerrten Fakten, albernem Gefasel und verrückten Ideen immer
wieder einzelne Wahrheitskörnchen und Tatsachenflöze,
erstarrte Ströme längst vergessener Geschichte, ganze
Bände von Exobiographien und so manche miteinander verwobene
Erkenntnisstränge. Menschen wie der Oberste Seher Slovius und
der Seher-im-Wartestand Fassin Taak hatten es sich zur Lebensaufgabe
gemacht, Kontakt zu den Dwellern zu suchen, mit ihnen zu reden und
sich auf ihre Sprache, ihre Denkweise und ihren Metabolismus
einzustellen. Die Seher schwebten – manchmal nur virtuell aus
großer Entfernung, manchmal auch ganz konkret – mit den
Dwellern durch Nasquerons Wolken, stießen in die Tiefen des
Gasriesen hinab und stiegen wieder empor. Dabei suchten sie in
Gesprächen, durch Studien und mit Hilfe von Notizen und Analysen
möglichst viel von dem Material zu verstehen, das ihnen ihre
uralten, ›langsamen‹ Gastgeber mündlich oder auf
andere Weise zugänglich machten. So hofften sie, zur
Bereicherung und zur Aufklärung der größeren
Meta-Zivilisation der ›Schnellen‹ beizutragen, die derzeit
die Galaxis bewohnte.
    »Und, äh, Jaal?« Slovius sah seinen Neffen an. Der
wirkte so verdutzt, dass der Ältere eine Erklärung für
angebracht hielt. »Diese, ach, wie war doch gleich der
Name… Tonderon. Ja. Die kleine Tonderon. Du bist doch noch mit
ihr verlobt?«
    Fassin lächelte. »Natürlich, Onkel«, sagte er.
»Sie kommt heute Abend aus Pirrintipiti zurück. Ich hoffe,
sie am Hafen abholen zu können.«
    »Und du bist…?« – Slovius wedelte mit einer
Flossenhand -»immer noch mit ihr zufrieden?«
    »Zufrieden, Onkel?«, fragte Fassin.
    »Bist du glücklich? Freust du dich darauf, dass sie
deine Frau werden soll?«
    »Natürlich, Onkel.«
    »Und wie denkt sie über dich?«
    »Hoffentlich ebenso. Ich glaube schon.«
    Slovius sah seinen Neffen eindringlich an. »Hm. Verstehe.
Natürlich. Nun ja.« Er schaufelte sich mit einer Flosse
etwas von der leuchtend blauen Flüssigkeit über die Brust,
als fröre er. »Wann soll die Hochzeit sein?«
    »Der Termin ist auf Allerheiligen, Jocundus III
festgesetzt«, sagte Fassin. »In knapp einem halbem Jahr
Eigenzeit«, fügte er zur Erläuterung hinzu.
    »Verstehe.« Slovius runzelte die Stirn und nickte
langsam. Das leichte Heben und Senken seines Körpers erzeugte
neue Wellen. »Gut zu wissen, dass du vielleicht doch noch in
geordnete Verhältnisse kommst.«
    Fassin war Seher mit Leib und Seele, er hielt sich für
fleißig und tüchtig und verbrachte nach eigener
Einschätzung überdurchschnittlich viel Zeit auf
›harten‹ Trips, also in direktem Kontakt mit den Dwellern
von Nasqueron. Doch da er glaubte, sich nach jeder dieser
anstrengenden Arbeitsphasen einen »richtigen Urlaub«
verdient zu haben, wie er es nannte, hielten ihn die ältere
Generation des Sept Bantrabal und besonders Slovius offenbar für
einen unverbesserlichen Taugenichts. (Onkel Slovius war nicht einmal
bereit, von einem ›richtigen Urlaub‹ zu sprechen. Für
ihn handelte es sich dabei um »monatelange hemmungslose
Besäufnisse und Drogenexzesse, bei denen sein Neffe keiner
Prügelei aus dem Weg ging und jede Körperöffnung
erkundete, die sich ihm an den Fleischtöpfen von…«
nun, wo auch immer boten, in Pirrintipiti vielleicht, der Hauptstadt
von ’glantine, in Borquille, der Hauptstadt von Sepekte oder
einer von Sepektes anderen Städten, manchmal auch in einem der
vielen Vergnügungshabitate, die über das ganze System
verstreut waren.)
    Fassin lächelte nachsichtig. »Trotzdem werde ich die
Tanzschuhe noch nicht an den Nagel hängen, Onkel.«
    »Was ist mit deinen Forschungen im Lauf der letzten, drei
oder vier Trips, Fassin? Könnte man sagen, sie wären in
eine bestimmte Richtung
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