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Denn rein soll deine Seele sein

Denn rein soll deine Seele sein

Titel: Denn rein soll deine Seele sein
Autoren: Faye Kellerman
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der zuständige Beamte?«
    Decker bejahte und gab dem jungen Mann seine Karte. Zvi warf einen Blick darauf und steckte sie in die Brusttasche.
    »Sehen Sie zu, daß Sie diese Bestie finden, Detective Decker«, zischte er. »Und wenn Sie den Kerl gefunden haben, verlange ich, daß Sie ihn nicht einfach verhaften oder ins Gefängnis stecken. Ich verlange, daß Sie ihn herbringen und mich eine Stunde mit ihm allein lassen. Nur so kann der Gerechtigkeit Genüge getan werden.«
    »Ich brauche die Hilfe Ihrer Frau, um ihn zu finden, Mr. Adler.«
    Es schien, als habe Zvi die Bemerkung gar nicht gehört. Einen Augenblick starrte er blicklos vor sich hin, dann sah er wieder auf. »Finden Sie den Mann und bringen Sie ihn mir.« Unvermittelt machte er kehrt und verschwand im Haus.
    Sarah wird nichts sagen, dachte Rina. Die Ermittlungen werden im Sande verlaufen. Sie sah Decker an. Er dachte dasselbe, und sie spürte seine Hilflosigkeit. Sie gingen weiter.
    »Es war eine lange Nacht«, sagte Rina. »Haben Sie so was öfter?«
    »Seit einiger Zeit, ja.«
    »Sie bearbeiten die Serie von Vergewaltigungen in Foothill, nicht?« Decker nickte.
    »Es ist mir eben erst eingefallen, daß ich Ihren Namen schon in der Zeitung gelesen habe. Glauben Sie, daß es zwischen diesen Verbrechen und dem, was hier passiert ist, einen Zusammenhang gibt?«
    »Das kann ich im Augenblick noch nicht sagen.«
    Sie hätte ihn gern noch so vieles gefragt, aber sie wußte genau, daß das nicht ging. Ein paar Meter vor ihrer Haustür blieb er unvermittelt stehen.
    »Wenn Sie uns helfen wollen, können Sie dreierlei tun, Mrs. Lazarus. Erstens lassen Sie gleich morgen früh an der Mikwe ein Sicherheitsschloß anbringen. Zweitens: Seien Sie in den nächsten Wochen besonders vorsichtig. Und drittens: Versuchen Sie, Mrs. Adler zu einer Aussage zu bewegen. Vielleicht ist sie bereit, mit meiner Kollegin zu sprechen, wenn sie zu mir kein Zutrauen hat.«
    »Ich will sehen, was sich tun läßt.«
    »Danke.« Decker schrieb eine Telefonnummer auf einen Zettel und gab ihn Rina. »Das ist meine Privatnummer. Ich möchte nicht, daß Sie nachts allein auf dem Gelände herumlaufen, solange die Jeschiwa keinen Wachdienst hat. Wenn Sie niemanden finden, der Sie begleiten kann, rufen Sie mich an, ich brauche nur eine Viertelstunde bis zu Ihnen. Auf ein paar Minuten meiner Freizeit kommt es mir nicht an, wenn ich damit vermeiden kann, wieder dienstlich hier aufkreuzen zu müssen.«
    »Ich werde mich vorsehen.«
    »Ich will Ihnen nicht in Ihre Glaubenssätze hineinreden, Mrs. Lazarus. Von Ihrem Rabbi weiß ich, daß Sie Witwe sind und daß Sie nicht gern mit einem Mann allein sind. Aber meiner Meinung nach kommt erst die persönliche Sicherheit und dann die Religion. Er könnte Ihnen bestimmt Dispens geben.«
    Rina schwieg, und Decker wußte, daß er sich vergeblich bemüht hatte. Ohne Hollanders verflixtes Baseball-Match hätte er jetzt nicht noch ein ungelöstes Sittlichkeitsverbrechen am Hals. Aber nicht nur das beunruhigte ihn. Er spürte, daß er nicht zum letztenmal in dienstlicher Eigenschaft in der Jeschiwa war.

5
    Rina saß an ihrem Tisch in dem stickigen Klassenzimmer. Von ihren Schülern waren nur die runden Käppchen zu sehen, mit gesenkten Köpfen saßen sie über der Klassenarbeit. Sie hatte die Aufgaben für anspruchsvoll gehalten, aber die Kinder schienen sie in Rekordzeit zu bewältigen. Es war eine Freude, mit so intelligenten Jungen zu arbeiten.
    Sie konzentrierte sich wieder auf das Pentateuch, das aufgeschlagen vor ihr lag. Das Kapitel für diese Woche - die parasche - hatte sie schon durchgearbeitet, jetzt begann sie die heftojre. Sonntag war Neumond, die Lesung würde die Freundschaft zwischen David und Jonathan zum Thema haben. Diese Geschichte von unwandelbarer Liebe und Treue war eine von Rinas Lieblingserzählungen aus der Thora; sie selbst hatte eine solche Beziehung nie erlebt. Nicht einmal mit Yitzchak. Dessen große Liebe war immer die Thora gewesen.
    Die Rabbis betrachteten seinen durchdringenden Verstand als ein Gottesgeschenk. Er war ihr Vorzeigeschüler, einer der wenigen echten talmid chacham. Sie hatten viel Aufhebens um ihn gemacht, aber das war ihm nie zu Kopf gestiegen. Ihm ging es nicht um Lob, sondern nur um den Erwerb von Wissen.
    Rina war von Yitzchaks geistigen Fähigkeiten sehr beeindruckt gewesen, als sie sich kennenlernten, und um mit diesem leibhaftigen Genie zusammenzusein, hatte sie auch seine Eigenarten in Kauf genommen.
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