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Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Titel: Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
Autoren: Ingeborg Gleichauf
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     täglich herausfordert. Die große Herausforderung besteht für sie darin, alle Möglichkeiten der Wirklichkeitsbildung zu untersuchen,
     in jeder Ecke, jeder Nische zu beobachten, was sich tut, wie Möglichkeiten in die Tat umgesetzt werden, von woher vielleicht
     Gefahr drohen könnte. Sie zeigt damit aber auch, welch wunderbare Disziplin die Philosophie sein kann, wie vielfältig ihre
     Arbeitsgebiete sind, wie eng verzahnt sie ist mit anderen Forschungsgebieten, vor allem mit Technik, Medizin und Recht. Der
     elfenbeinerne Turm hat in der Tat weit offene Türen und steht inmitten des Lebens.
    Ein Thema, mit dem Gehring sich in ihrem Buch über Biomacht auch beschäftigt, ist die stark in die Diskussion geratene Gentechnik.
     Gehring geht auch hier wieder zunächst begriffsgeschichtlich vor. Sie beginnt beim Begriff der Züchtung und recherchiert,
     wo und wann es zuerst eine Vorstellung davon gab. Gehring findet heraus, dass schon im Alten Testament davon gesprochen wird,
     und zwar im Buch Genesis. Dort wird von Jakob erzählt, der als Schafhüter in die Dienste des Laban kommt. Auf listige Weise
     schafft es Jakob, die starken und ganz besonders gefleckten Tiere zu vermehren, und wird dadurch reich. Dem Laban bleiben
     die schwächlicheren Tiere. Zur Rede gestellt, argumentiert Jakob damit, dass es Gott selbst gewesen sei, der ihn auf diese
     Weise wohlhabend gemacht habe. Züchtung betrifft in diesem Fall aber noch nicht den Menschen, sondern Tiere.
    Das sieht bei Platon in seiner Schrift
Politeia
anders aus:Hier geht es darum, eine Ordnung in die Fortpflanzung des Menschen zu bringen. Die besten Männer und Frauen im Staat sollen
     ausgewählt werden und in einer besonderen Gemeinschaft zusammenleben und Kinder miteinander zeugen. Kinder, die verstümmelt
     zur Welt kommen oder sonst nicht dem gewünschten Vorbild entsprechen, sollen ausgesetzt oder versteckt gehalten werden. Züchtung
     hat für Platon eine politische Funktion: Dem Staat sollen auf diese Weise nützliche Bürger geboren werden, Züchtung ist der
     erste Schritt auf dem Weg zu einer Auslese bildungsfähiger Bürger. Dieser Aspekt bleibt über eine sehr lange Zeit vorherrschend,
     wenn es darum geht, so etwas wie eine Züchtung von Eliten voranzutreiben: »Mit der Züchtung beginnt die Bildung.« 13 Die Verbindung von Züchtung und Bildung in unterschiedlicher Form reicht bis ins 19.   Jahrhundert. Bei Darwin findet sich eine Variante, die eine kontroverse Diskussion in Gang gebracht hat: Für ihn ist die Natur
     selbst die beste Züchterin. Dieser Ansicht folgen längst nicht alle Forscher der nachdarwinischen Generation. Es entsteht
     die »Eugenik«, die Lehre von der Verbesserung der Erbanlagen, die die Evolution des Menschen wenigstens zum Teil in die Hand
     des Menschen selbst geben möchte. »Anders als die Elitezüchtung früherer Zeiten zielt die moderne Eugenik der Idee nach aufs
     Ganze: die menschliche Gattung (›Rasse‹) oder mindestens die Gesamtbevölkerung eines Landes oder einer Nation.« 14 Dabei wird die Schwelle von eventuell miteinzukalkulierenden Tötungen schon vor der Jahrhundertwende überschritten. Der Rassenhygieniker
     Alfred Ploetz plädiert unter anderem dafür, Arme nicht allzu intensiv zu unterstützen. Man könne sich außerdem dieser Menschen
     entledigen, indem man sie als »Kanonenfutter« im Kriegverwendet. Im Laufe der Zeit ergeben sich zwei verschiedene Bedeutungen von Züchtung: Die eine Bedeutung betrifft die Bildung
     und geht einher mit Phänomenen wie der Selbstzucht, die zweite Bedeutung ist rein biologischer Natur und betrifft die Weitergabe
     von Erbgut durch Fortpflanzung. Oswald Spengler schließlich tritt in seinem 1919 erschienen Werk
Der Untergang des Abendlandes
dafür ein, dass Züchtung sich auf das Blut zu erstrecken habe und dass damit vollkommene aristokratische Stände erzeugt werden
     könnten bzw. sich selbst züchten. Dieser »rassische Elite-Diskurs« verbindet sich in der N S-Zeit mit der nationalsozialistischen Rassenhygiene. »In den 1930er-Jahren wird die Züchtung und ›besondere Förderung der nordischen
     Leitrasse‹ zum Ziel.« 15 Das Ganze mündet in der Judenvernichtung, der Verfolgung und Tötung der Roma und Sinti, dem Mord an behinderten Menschen,
     in Zwangssterilisationen. Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges gibt sich die eugenische Wissenschaft zerknirscht und
     versucht, sich dezent aus der Auseinandersetzung zurückzuziehen. Das Züchtungsthema
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