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Demian

Demian

Titel: Demian
Autoren: Hermann Hesse
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leicht. Aber es gibt
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    keinen immerwährenden Traum, jeden löst ein neuer ab, und keinen darf man festhalten wollen.“
    Ich erschrak tief. War das schon eine Warnung? War das schon Abwehr?
    Aber einerlei, ich war bereit, mich von ihr führen zu lassen und nicht nach dem Ziel zu fragen.
    Ich weiß nicht“, sagte ich, wie lange mein Traum dauern soll. Ich wünsche,
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    er wäre ewig. Unter dem Bild des Vogels hat mich mein Schicksal empfangen, wie eine Mutter, und wie eine Geliebte. Ihm gehöre ich und sonst niemand.“
    Solange der Traum Ihr Schicksal ist, solange sollen Sie ihm treu bleiben“,
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    bestätigte sie ernst.
    Eine Traurigkeit ergriff mich, und der sehnliche Wunsch, in dieser verzau-berten Stunde zu sterben. Ich fühlte die Tränen – wie unendlich lange hatte ich nicht mehr geweint! – unaufhaltsam in mir aufquellen und mich überwältigen.
    Heftig wandte ich mich von ihr weg, trat an das Fenster und blickte mit blinden Augen über die Topfblumen hinweg.
    Hinter mir hörte ich ihre Stimme, sie klang gelassen und war doch so voll von Zärtlichkeit wie ein bis zum Rande mit Wein gefüllter Becher.
    Sinclair, Sie sind ein Kind! Ihr Schicksal liebt Sie ja. Einmal wird es Ihnen
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    ganz gehören, so wie Sie es träumen, wenn Sie treu bleiben.“
    Ich hatte mich bezwungen und wandte ihr das Gesicht wieder zu. Sie gab
    mir die Hand.
    Ich habe ein paar Freunde“, sagte sie lächelnd, ein paar ganz wenige, ganz
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    nahe Freunde, die sagen Frau Eva zu mir. Auch Sie sollen mich so nennen, 94
    wenn Sie wollen.“
    Sie führte mich zur Tür, öffnete und deutete in den Garten. Sie finden Max
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    da draußen.“
    Unter den hohen Bäumen stand ich betäubt und erschüttert, wacher oder
    träumender als jemals, wußte es nicht. Sachte tropfte der Regen aus den Zwei-gen. Ich ging langsam in den Garten hinein, der sich weit das Flußufer entlang zog. Endlich fand ich Demian. Er stand in einem offenen Gartenhäuschen
    mit nacktem Oberkörper und machte vor einem aufgehängten Sandsäckchen
    Boxübungen.
    Erstaunt blieb ich stehen. Demian sah prachtvoll aus, die breite Brust, der feste, männliche Kopf, die gehobenen Arme mit gestrafften Muskeln waren stark und tüchtig, die Bewegungen kamen aus Hüften, Schultern und Armge-lenken hervor wie spielende Quellen.
    Demian!“ rief ich. Was treibst du denn da?“
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    Er lachte fröhlich.
    Ich übe mich. Ich habe dem kleinen Japaner einen Ringkampf versprochen,
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    der Kerl ist flink wie eine Katze und natürlich ebenso tückisch. Aber er wird nicht mit mir fertig werden. Es ist eine ganz kleine Demütigung, die ich ihm schuldig bin.“
    Er zog Hemd und Rock über.
    Du warst schon bei meiner Mutter?“ fragte er.
    ”Ja. Demian, was hast du für eine herrliche Mutter! Frau Eva! Der Name
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    paßt vollkommen zu ihr, sie ist wie die Mutter aller Wesen.“
    Er sah mir einen Augenblick nachdenklich ins Gesicht.
    Du weißt den Namen schon? Du kannst stolz sein, Junge! Du bist der erste,
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    dem sie ihn schon in der ersten Stunde gesagt hat.“
    Von diesem Tag an ging ich im Hause ein und aus wie ein Sohn und Bruder, aber auch wie ein Liebender. Wenn ich die Pforte hinter mir schloß, ja schon wenn ich von weitem die hohen Bäume des Gartens auftauchen sah, war ich reich und glücklich. Draußen war die Wirklichkeit“, draußen waren Straßen
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    und Häuser, Menschen und Einrichtungen, Bibliotheken und Lehrsäle – hier drinnen aber war Liebe und Seele, hier lebte das Märchen und der Traum.
    Und doch lebten wir keineswegs von der Welt abgeschlossen, wir lebten in Gedanken und Gesprächen oft mitten in ihr, nur auf einem anderen Felde, wir waren von der Mehrzahl der Menschen nicht durch Grenzen getrennt, sondern nur durch eine andere Art des Sehens. Unsere Aufgabe war, in der Welt eine Insel darzustellen, vielleicht ein Vorbild, jedenfalls aber die Ankündigung einer anderen Möglichkeit zu leben. Ich lernte, ich lang Vereinsamter, die Gemeinschaft kennen, die zwischen Menschen möglich ist, welche das völlige Alleinsein gekostet haben. Nie mehr begehrte ich zu den Tafeln der Glücklichen, zu den Festen der Fröhlichen zurück, nie mehr flog mich Neid oder Heimweh an, wenn 95
    ich die Gemeinsamkeiten der andern sah. Und langsam wurde ich eingeweiht in das Geheimnis derer, welche das Zeichen“ an sich trugen.
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    Wir, die mit dem Zeichen, mochten mit Recht der Welt für seltsam, ja
    für verrückt und gefährlich gelten. Wir waren
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