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Demian

Demian

Titel: Demian
Autoren: Hermann Hesse
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Herren, welche an den Erinnerungen ihrer verkneipten Semester hingen wie an Andenken eines seligen Paradieses und mit der entschwundenen Freiheit“, ihrer Studentenjahre einen Kultus trieben, wie ihn sonst etwa Dich-
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    ter oder andere Romantiker der Kindheit widmen. Überall dasselbe! Überall suchten sie die Freiheit“, und das Glück“, irgendwo hinter sich, aus lauter
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    Angst, sie könnten ihrer eigenen Verantwortlichkeit erinnert und an ihren eigenen Weg gemahnt werden. Ein paar Jahre wurde gesoffen und gejubelt, und dann kroch man unter und wurde ein seriöser Herr im Staatsdienst. Ja, es war faul, faul bei uns, und diese Studentendummheit war weniger dumm und weniger schlimm als hundert andere.
    Als ich jedoch in meiner entlegenen Wohnung angekommen war und mein
    Bett suchte, waren alle diese Gedanken verflogen, und mein ganzer Sinn hing wartend an dem großen Versprechen, das mir dieser Tag gegeben hatte. Sobald ich wollte, morgen schon, sollte ich Demians Mutter sehen. Mochten die Studenten ihre Kneipen abhalten und sich die Gesichter tätowieren, mochte die Welt faul sein und auf ihren Untergang warten – was ging es mich an! Ich wartete einzig darauf, daß mein Schicksal mir in einem neuen Bilde entgegen-trete.
    Ich schlief fest bis spät am Morgen. Der neue Tag brach für mich als ein feierlicher Festtag an, wie ich seit den Weihnachtsfeiern meiner Knabenzeit keinen mehr erlebt hatte. Ich war voll innerster Unruhe, doch ohne jede Angst. Ich fühlte, daß ein wichtiger Tag für mich angebrochen sei, ich sah und empfand die Welt um mich her verwandelt, wartend, beziehungsvoll und feierlich, auch der leise fließende Herbstregen war schön, still und festtäglich voll ernstfroher Musik. Zum erstenmal klang die äußere Welt mit meiner innern rein zusammen – dann ist Feiertag der Seele, dann lohnt es sich zu leben. Kein Haus, kein Schaufenster, kein Gesicht auf der Gasse störte mich, alles war, wie es sein mußte, trug aber nicht das leere Gesicht des Alltäglichen und Gewohnten, son-91
    dern war wartende Natur, stand ehrfurchtsvoll dem Schicksal bereit. So hatte ich als kleiner Knabe die Welt am Morgen der großen Feiertage gesehen, am Christtag und an Ostern. Ich hatte nicht gewußt, daß diese Welt noch so schön sein könne. Ich hatte mich daran gewöhnt, in mich hineinzuleben und mich damit abzufinden, daß mir der Sinn für das da draußen eben verlorengegangen sei, daß der Verlust der glänzenden Farben unvermeidlich mit dem Verlust der Kindheit zusammenhänge, und daß man gewissermaßen die Freiheit und
    Mannheit der Seele mit dem Verzicht auf diesen holden Schimmer bezahlen müsse. Nun sah ich entzückt, daß dies alles nur verschüttet und verdunkelt gewesen war und daß es möglich sei, auch als Freigewordener und auf Kin-derglück Verzichtender die Welt strahlen zu sehen und die innigen Schauer des kindlichen Sehens zu kosten.
    Es kam die Stunde, da ich den Vorstadtgarten wiederfand, bei dem ich
    mich diese Nacht von Max Demian verabschiedet hatte. Hinter hohen, re-
    gengrauen Bäumen verborgen stand ein kleines Haus, hell und wohnlich, hohe Blumenstauden hinter einer großen Glaswand, hinter blanken Fenstern dunkle Zimmerwände mit Bildern und Bücherreihen. Die Haustür führte unmittelbar in eine kleine erwärmte Halle, eine stumme alte Magd, schwarz, mit weißer Schürze, führte mich ein und nahm mir den Mantel ab.
    Sie ließ mich in der Halle allein. Ich sah mich um, und sogleich war ich mitten in meinem Traume. Oben an der dunkeln Holzwand, über einer Tür,
    hing unter Glas in einem schwarzen Rahmen ein wohlbekanntes Bild, mein
    Vogel mit dem goldgelben Sperberkopf, der sich aus der Weitschale schwang.
    Ergriffen blieb ich stehen – mir war so froh und weh ums Herz, als kehre in diesem Augenblick alles, was ich je getan und erlebt, zu mir zurück als Antwort und Erfüllung. Blitzschnell sah ich eine Menge von Bildern an meiner Seele vorüberlaufen; das heimatliche Vaterhaus mit dem alten Steinwappen überm Torbogen, den Knaben Demian, der das Wappen zeichnete, mich selbst als
    Knaben, angstvoll in den bösen Bann meines Feindes Kromer verstrickt, mich selbst als Jüngling, in meinem Schülerzimmerchen am stillen Tisch den Vogel meiner Sehnsucht malend, die Seele verwirrt ins Netz ihrer eigenen Fäden –
    und alles, und alles bis zu diesem Augenblick klang in mir wider, wurde in mir bejaht, beantwortet, gutgeheißen.
    Mit naß gewordenen Augen starrte ich auf mein
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