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Demian

Demian

Titel: Demian
Autoren: Hermann Hesse
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einer den Weg ganz gehen will. Er darf auch nicht Revolutionär, nicht Beispiel, nicht Märtyrer sein wollen. Es ist nicht auszudenken –“
    Nein, es war nicht auszudenken. Aber es war zu träumen, es war vorzufühlen, es war zu ahnen. Einigemal fühlte ich etwas davon, wenn ich eine ganz stille Stunde fand. Dann blickte ich in mich und sah meinem Schicksalsbild in die offenstarren Augen. Sie konnten voll Weisheit sein, sie konnten voll Wahnsinn sein, sie konnten Liebe strahlen oder tiefe Bosheit, es war einerlei. Nichts davon 85
    durfte man wählen, nichts durfte man wollen. Man durfte nur sich wollen, nur sein Schicksal. Dahin hatte mir Pistorius eine Strecke weit als Führer gedient.
    In jenen Tagen lief ich wie blind umher, Sturm brauste in mir, jeder Schritt war Gefahr. Ich sah nichts als die abgründige Dunkelheit vor mir, in welche alle bisherigen Wege verliefen und hinabsanken. Und in meinem Innern sah ich das Bild des Führers, der Demian glich und in dessen Augen mein Schicksal stand.
    Ich schrieb auf ein Papier: Ein Führer hat mich verlassen. Ich stehe ganz
    ”
    im Finstern. Ich kann keinen Schritt allein tun. Hilf mir!“
    Das wollte ich an Demian schicken. Doch unterließ ich es; es sah jedesmal, wenn ich es tun wollte, läppisch und sinnlos aus. Aber ich wußte das kleine Gebet auswendig und sprach es oft in mich hinein. Es begleitete mich jede Stunde. Ich begann zu ahnen, was Gebet ist.
    Meine Schulzeit war zu Ende. Ich sollte eine Ferienreise machen, mein Vater hatte sich das ausgedacht, und dann sollte ich zur Universität gehen. Zu welcher Fakultät, das wußte ich nicht. Es war mir ein Semester Philosophie bewilligt. Ich wäre mit allem andern ebenso zufrieden gewesen.

86
Frau Eva
    In den Ferien ging ich einmal zu dem Hause, in welchem vor Jahren Max
    Demian mit seiner Mutter gewohnt hatte. Eine alte Frau spazierte im Garten, ich sprach sie an und erfuhr, daß ihr das Haus gehöre. Ich fragte nach der Familie Demian. Sie erinnerte sich ihrer gut. Doch wußte sie nicht, wo sie jetzt wohnten. Da sie mein Interesse spürte, nahm sie mich mit ins Haus, suchte ein ledernes Album hervor und zeigte mir eine Photographie von Demians Mutter.
    Ich konnte mich ihrer kaum mehr erinnern. Aber als ich nun das kleine Bildnis sah, blieb mir der Herzschlag stehen. – Das war mein Traumbild! Das war sie, die große, fast männliche Frauenfigur, ihrem Sohne ähnlich, mit Zügen von Mütterlichkeit, Zügen von Strenge, Zügen von tiefer Leidenschaft, schön und verlockend, schön und unnahbar, Dämon und Mutter, Schicksal und Geliebte.
    Das war sie!
    Wie ein wildes Wunder durchfuhr es mich, als ich so erfuhr, daß mein Traumbild auf der Erde lebe! Es gab eine Frau, die so aussah, die die Züge meines Schicksals trug! Wo war sie? Wo? – Und sie war Demians Mutter.
    Bald darauf trat ich meine Reise an. Eine sonderbare Reise! Ich fuhr rastlos von Ort zu Ort, jedem Einfall nach, immer auf der Suche nach dieser Frau. Es gab Tage, da traf ich lauter Gestalten, die an sie erinnerten, an sie anklangen, die ihr glichen, die mich durch Gassen fremder Städte, durch Bahnhöfe, in Eisenbahnzüge lockten, wie in verwickelten Träumen. Es gab andere Tage, da sah ich ein, wie unnütz mein Suchen sei; dann saß ich untätig irgendwo in einem Park, in einem Hotelgarten, in einem Wartesaal und schaute in mich hinein und versuchte das Bild in mir lebendig zu machen. Aber es war jetzt scheu und flüchtig geworden. Nie konnte ich schlafen, nur auf den Bahnfahrten durch unbekannte Landschaften nickte ich für Viertelstunden ein. Einmal, in Zürich, stellte eine Frau mir nach, ein hübsches, etwas freches Weib. Ich sah sie kaum und ging weiter, als wäre sie Luft. Lieber wäre ich sofort gestorben, als daß ich einer andern Frau auch nur für eine Stunde Teilnahme geschenkt hätte.
    Ich spürte, daß mein Schicksal mich zog, ich spürte, daß die Erfüllung nahe sei, und ich war toll vor Ungeduld, daß ich nichts dazu tun konnte. Einst auf einem Bahnhof, ich glaube, es war in Innsbruck, sah ich in einem eben wegfahrenden Zug am Fenster eine Gestalt, die mich an sie erinnerte, und war 87
    tagelang unglücklich. Und plötzlich erschien die Gestalt mir wieder nachts in einem Traume, ich erwachte mit einem beschämten und öden Gefühl von der Sinnlosigkeit meiner Jagd und fuhr geraden Weges nach Hause zurück.
    Ein paar Wochen später ließ ich mich auf der Universität H. einschreiben.
    Alles enttäuschte mich. Das Kolleg über
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