Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dem Himmel entgegen

Dem Himmel entgegen

Titel: Dem Himmel entgegen
Autoren: Mary Monroe
Vom Netzwerk:
und so bemerkte er die beiden nicht. Sie hielten sich die Hand über den Mund, damit er ihr Kichern nicht hörte. Niemand war in dem Messraum oder in der Klinik. Maggie war für die erste Schicht eingetragen, und Brady und die anderen Freiwilligen würden erst gegen neun Uhr kommen. Nur die beiden Geier betrachteten sie aus ihrem Gehege heraus, als Fannie Marion hochhob und auf den untersten Ast einer Sumpfkiefer setzte, die groß und mächtig neben der Klinik wuchs.
    “Hallo, Mama!” rief Marion vom Ast herunter. Sie liebte es, auf Bäume zu klettern.
    “Schhhh! Wir sind doch Spione, hast du das vergessen? Siehst du das Fenster da? Der obere Teil steht offen. Denkst du, du könntest da hineinklettern?”
    Marion hangelte sich auf dem Ast bis zum Fenster. “Nein, geht nicht. Da ist ein Fliegengitter.”
    “Das alte Ding? Das kannst du einfach eintreten, Süße. Dann fällt es raus.”
    Marion runzelte besorgt die Stirn. “Ich glaube nicht, dass ich das tun darf. Daddy wird bestimmt böse.”
    “Mach es einfach. Du kannst ihm sagen, ich hätte es dir erlaubt. Mach schon.”
    Marion drehte sich um, hielt sich am Ast fest und trat gegen das Fliegengitter. Sie geriet dabei ein wenig ins Schwanken, konnte sich aber oben halten.
    “Gutes Mädchen! Jetzt klettere hinein. Da steht ein Schreibtisch direkt unter dem Fenster, wo du draufsteigen kannst.”
    Sie sah zu, wie Marion ganz leicht vom Ast rutschte und sich durch das Fenster auf den Schreibtisch gleiten ließ. Marion blickte fragend durchs Fenster auf ihre Mutter.
    “Jetzt öffne die Tür. Beeil dich!”
    Sobald Fannie Einlass in die Klinik bekommen hatte, ging sie direkt zum Hinterzimmer, in dem die Medikamente gelagert wurden. Es war schon nach acht, und die Zeit lief ihr davon. Sie rüttelte an der Schranktür und fluchte, als sie sie verschlossen fand.
    “Wonach suchen wir denn?” wollte Marion wissen.
    “Nach etwas Spaß.” Sie brachte Marion ins Büro zurück und holte eine Dose mit Brezeln hervor, die sie für sie öffnete. “Setz dich hier einfach hin, und lass mich machen”, sagte sie und gab Marion die Dose mit den Brezeln.
    “Ich denke, wir sollten hier nicht sein.”
    “Sei still”, warnte Fannie.
    Sie ging in das Hauptbehandlungszimmer und öffnete den Glasschrank, in dem die täglich benötigten Medikamente aufbewahrt wurden. Dutzende von kleinen Döschen und Pillenboxen schob sie zur Seite. Bei den meisten Arzneimitteln handelte es sich um Antibiotika und Pilzmittel. Fannie verzweifelte langsam. Und sie wurde unvorsichtig – immer hastiger durchsuchte sie den Schrank, schob Fläschchen zur Seite, von denen einige splitternd zu Boden fielen.
    Dann sah sie es. Äther.
    Sie lachte, als sie die Flasche aus dem Arzneimittelschrank holte. Nicht eben die Droge, nach der sie gesucht hatte, aber in der Not würde es reichen. Sie hatte es selbst noch nicht probiert, aber sie kannte Leute, die ihr über den Rausch erzählt hatten. Nur einen Augenblick dachte sie darüber nach, dann schraubte sie die Verschlusskappe auf und träufelte einigen Äther auf ein Baumwolltuch. Der Geruch bereitete Kopfschmerzen, und für einen Moment zögerte sie. “Ach, zur Hölle”, murmelte sie schließlich und hielt sich das Tuch unter die Nase. Zaghaft atmete sie ein und wartete. Sie spürte nicht viel. Sie träufelte noch mehr Äther auf das Tuch und versuchte es erneut, dieses Mal atmete sie kräftig ein. Dann verdrehte sie die Augen und wartete darauf, den Effekt spüren zu können.
    “Mama? Was machst du?”
    “Ich spiele nur ein bisschen herum, Süße”, sagte Fannie und kicherte. Sie warf das Tuch in den Mülleimer. Der Äther zeigte seine Wirkung, und sie fühlte sich leicht, als wäre sie angetrunken. Sie bewegte ihre Finger und Zehen, die sie kaum noch spüren konnte. Als sie zu Marion gehen wollte, merkte sie, dass auch ihre Knie sich wie Gummi anfühlten. “Wow”, sagte sie und hielt sich an der Anrichte fest. “Das Zeug haut ganz schön rein. Geh in das Nebenzimmer, Süße. Ich will nicht, dass du das hier riechst.”
    Ihre Beine waren wie Wackelpudding, und sie ließ sich auf den Boden gleiten. Die Beine von sich gestreckt musste sie über ihre Füße lachen, die plötzlich sehr komisch aussahen. Wie spät ist es wohl, dachte sie und versuchte, die Uhr zu erkennen, doch selbst als sie die Augen zusammenkniff, nahm sie die Ziffern nur verschwommen wahr. Eigentlich war es ihr auch egal, wie spät es war. Dieser Stoff begann, wirklich reinzuhauen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher