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Delia und der Sohn des Häuptlings

Delia und der Sohn des Häuptlings

Titel: Delia und der Sohn des Häuptlings
Autoren: Marie Louise Fischer
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glauben können, sie gingen auf einen Ball oder ein Kaffeekränzchen.
    Die Mädchen und Frauen, die mit den Trecks kamen und jeweils nur wenige Tage, höchstens eine Woche blieben, hatten keine Zeit für Vergnügungen. Sie hatten alle Hände voll zu tun, ihre Wäsche zu waschen, Kleider, Anzüge und Strümpfe in Ordnung zu bringen, ihre Kranken zu pflegen — denn fast jeder Treck brachte Kranke mit, die sich dann, noch kaum genesen, weiterschleppten. Ein längerer Aufenthalt im Fort hätte die Trennung von der Familie bedeutet.
    Das Fort selbst war als Treffpunkt der feinen Welt durchaus ungeeignet. Der Boden bestand einfach aus festgestampfter Erde, die Blockhäuser, die sich ringsum an die Wehrgänge drängten, waren so schlicht wie nur möglich gestaltet. Nirgends wuchsen Blumen, und Gardinen wehten nur an den Fenstern des Kommandantenhauses, das als einziges auch gläserne Scheiben hatte.
    Es gab eine Pumpe, an der pausenlos Einwandererfrauen Schlange standen, um Wasser zu holen. Kinder spielten schreiend Fangen, Männer saßen beisammen, qualmten aus dunklen Pfeifen, schienen zu beraten. Von den Ställen klang das Wiehern, Stampfen und Malmen der Pferde herüber.
    Die Soldaten kümmerten sich um die Einwanderer überhaupt nicht, starrten über sie hinweg, als wären sie Fliegen an der Wand.
    So sah der Ort aus, durch den Linda und Delia, beide fein herausgeputzt, ihren Spaziergang machten. Das Fort verlassen durften sie natürlich nicht. Es hätte ihnen auch wenig genutzt, denn die Tiere in der Prärie hätten ihren Sonntagsstaat bestimmt noch weniger beachtet.
    Delia wunderte sich, wie die Freundin ein solches Leben aushalten konnte. Obwohl sie erst wenige Stunden hier war, fühlte sie sich wie eingesperrt.
    „Kannst du reiten?“ fragte sie.
    „Ja, ein bisschen. In New York bin ich hin und wieder geritten. Aber hier …“ Linda zuckte die Schultern.
    „Nirgends geht es besser!“ rief Delia. „Es ist herrlich, durch die Prärie zu traben, immer weiter vorwärts! Und es gibt keinen Zaun, keinen Graben, nichts, was einen aufhalten könnte!“
    „Außer den Indianern“, sagte Linda.
    „Na, so schlimm sind die auch nicht. Und außerdem kann man sich vorsehen. Wenn man immer gut aufpasst, braucht man keiner Menschenseele zu begegnen.“
    „Das würde Pop nie erlauben“, sagte Linda und drehte kokett ihren Sonnenschirm. „Und ich möchte es auch gar nicht!“
    „Du hast Angst“, sagte Delia. „Dabei glaube ich, du hast noch nie einen richtigen Indianer gesehen.“
    „O doch“, sagte Linda, „wenn einer betrunken erwischt worden ist, sperrt mein Vater ihn ein.“
    „Wo?“
    Linda wies mit der Spitze ihres Sonnenschirms auf eines der Blockhäuser, das besonders schmale und hohe Fenster hatte. „Da drüben ist der Kerker!“
    Das war genau das, was Delia hatte wissen wollen. Unauffällig brachte sie es dahin, dass sie auf ihrem Rundgang dem Gefängnis immer näherkamen.
    Endlich sah sie zwei dunkle Augen, die sie durch das schmale Fenster anstarrten. Sie erkannte Akitu. Irgendwie musste es ihm gelungen sein, sich hochzuziehen, um einen Blick in den Hof des Forts werfen zu können.
    Delia winkte ihm zu, aber seine Augen blieben ganz ausdruckslos. Heiß fiel es Delia aufs Herz, dass er sie vielleicht so gar nicht kannte.
    Sie musste versuchen, noch näher heranzukommen, ihm ein paar Worte in der Sprache der Iowanokas zuzurufen, ihm begreiflich zu machen, dass er nicht allein war.
    Aber gerade in diesem Augenblick hakte Linda sich bei ihr ein. „Komm, Darling, wir müssen zurück. Es ist Abendbrotzeit, und Pop kann sehr, sehr böse werden, wenn man ihn warten lässt.“
    Widerstrebend ließ Delia sich mitziehen.
    Der Abendtisch war festlich gedeckt, der Truthahn, eigens zu Delias Ehren am Nachmittag geschlachtet, schmeckte vorzüglich, genau wie die süßen Kartoffeln, die es als Beilage gab, und der Apfelkuchen zum Nachtisch.
    Seit Langem hatte Delia nicht mehr ein so gut gekochtes und sorgfältig zubereitetes Essen zu kosten bekommen, und doch — es war ihr, als bliebe ihr jeder Bissen im Hals stecken, sie musste sich regelrecht zum Essen zwingen.
    Dem Kommandanten entging das nicht. „Nun, schmeckt es dir nicht?“ fragte er ironisch. „Verständlich, verständlich, du bist von deinen Indianern her an bessere Speisen gewöhnt — nichts geht über eine rohe Pferdekeule!“
    Delia hatte schon eine freche Antwort auf den Lippen, aber dann schluckte sie sie zusammen mit einem großen Stück
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