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Delia und der Sohn des Häuptlings

Delia und der Sohn des Häuptlings

Titel: Delia und der Sohn des Häuptlings
Autoren: Marie Louise Fischer
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Apfelkuchen hinunter. Sie war so mutlos, dass sie nicht einmal Lust hatte, sich zu verteidigen.
    „Delia ist müde“, sagte Lindas Mutter. „Sie ist ja die vergangene Nacht durchgeritten, um dich zu warnen!“
    „Haha!“ Der Kommandant lachte. „Sehr edel von ihr! Wer weiß, vielleicht hat sie uns allen damit das Leben gerettet!“ Er lachte noch mehr, wie über einen tollen Witz.
    Aber Linda und ihre Mutter lachten nicht mit, und das war ein kleiner Trost für Delia.
    Sie war froh, als das Abendessen endlich vorüber war, als sie sich verabschieden und zurückziehen durfte. Linda begleitete sie, die beiden Mädchen schliefen in einem Zimmer.
    Erst als Delia im Bett lag — auf richtigen Kissen, zwischen weichen, duftenden Laken —, merkte sie, wie müde sie war. Trotz aller Verwirrungen und allem Kummer schlief sie rascher ein, als jemand bis drei hätte zählen können.
    Mitten in der Nacht erwachte sie. Sie war das Federbett nicht mehr gewöhnt, ihr war schrecklich heiß. Sie strampelte es ab, aber immer noch war ihr, als ob sie keinen Atem kriegte. Sie war gewöhnt, im Freien zu schlafen, oder in einer Hütte, durch die der Wind blies. In dem kleinen Zimmer, bei geschlossenem Fenster, glaubte sie zu ersticken.
    Leise stand sie auf, schlich barfuß zum Fenster, stieß es auf. Das Gefängnis lag schräg gegenüber auf der anderen Seite des Platzes. Wenn Akitu genau wie sie in die Nacht hinausstarrte, konnte er sie vielleicht erkennen. Ihr langes, weißes Nachthemd schimmerte im Mondlicht.
    Aber er wusste ja nicht, wo sie wohnte, er wusste nicht, dass sie wach war; er wusste gar nichts.
    Delia seufzte schwer. Wenn sie sich selbst schon so schlecht fühlte, wie schlimm musste es dann dem Indianerjungen zumute sein, der in seinem ganzen Leben bisher nichts als den Wald, den Fluss, die Prärie gekannt hatte, der nie zuvor eingesperrt gewesen war! Delia seufzte noch einmal.
    Linda regte sich in ihrem Bett. „Darling“, sagte sie verschlafen.
    „Schon gut“, flüsterte Delia. „Ich habe nur das Fenster aufgemacht. Schlaf weiter.“
    „Warum schläfst du denn nicht?“
    „Ich kann nicht.“ Linda warf ihr Federbett zurück, schlüpfte in ihre Pantöffelchen, lief zu Delia an das geöffnete Fenster. „Hast du Kummer?“ fragte sie. Delia nickte stumm.
    „Weil du nicht weißt, ob du zu deinem Onkel Johannes oder zu deiner Mutter fahren sollst?“
    „Das ist es nicht.“
    „Was denn?“
    „Du würdest es doch nicht verstehen.“
    Linda ließ nicht locker. „Schon möglich“, erklärte sie ungerührt. „Besonders schlau bin ich nicht. Aber immerhin, es kann nichts schaden, wenn du mal versuchen würdest, mir alles zu erzählen.“
    Delia schwieg lange. Dann, endlich, raffte sie sich doch zu einer Erklärung auf. „Es ist wegen Akitu.“
    „Weil er eingesperrt ist?“
    „Ja. Und weil er nichts getan hat — im Gegenteil. Er wusste, wie gefährlich es für ihn war, ins Fort zu kommen. Aber er wollte mich nicht alleinlassen.“
    „Vielleicht hatte er Angst, dass du davonlaufen könntest!“
    „Ach, Linda“, sagte Delia verzweifelt, „warum verstehst du das nicht … warum wollt ihr alle das nicht verstehen? Es ist ganz anders, als ihr euch das vorstellt. Ja, die Iowanokas haben mich gefangengenommen, stimmt. Sie wollten mich sogar martern, aber nicht, weil sie wütend auf mich waren. Es ist eine Ehre, gemartert zu werden …“
    „Schöne Ehre“, warf Linda ein, „da könnte ich dankend drauf verzichten.“
    „Meinst du, ich nicht? Aber die Indianer sehen das anders.“
    „Sie sind grausam und böse.“
    „Ja, schon, aber nicht nur. Die Weißen sind ja schließlich auch keine Engel — oder willst du das behaupten?“
    „Jedenfalls haben wir nicht so raue Sitten!“
    „Wenn du“ — Delia tippte ihrer Freundin auf die Brust — „einen Indianerhäuptling aufsuchtest, um ihn vor einem Überfall zu warnen, würde man dich jedenfalls nicht gefangennehmen. Bestimmt nicht.“
    Linda zuckte die schmalen Schultern. „Vielleicht! Kann schon sein.“
    „Kann nicht nur, sondern es ist so. Sie errichten die Marterpfähle nach einem Kampf, wenn die eigenen Brüder und Söhne gefallen sind. Dann wollen sie ihren Frauen und Kindern Gelegenheit geben, sich zu rächen, ihren Schmerz auszutoben.“
    Linda rümpfte ihr schmales Naschen. „Scheußlich.“
    „Aber sie machen manchmal etwas anderes. Sie nehmen Gefangene in den eigenen Stamm auf. Findest du das etwa auch scheußlich? Ich finde es klug und
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